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Nr. 93, Januar 2017 - Ihre Gesellschaft

Eine Leserin schreibt: Schöne Worte und Titel, aber keine Zeit für die Hygiene

Vor einigen Wochen wurde ein „Hygiene-Atlas“ für alle Krankenhäuser in Deutschland veröffentlicht. Und ich musste erstaunt feststellen: Laut diesem Atlas ist in dem Krankenhaus, in dem ich arbeite, „alles in Ordnung“. Dabei ist gar nichts in Ordnung. Die Reinigungsfrauen der Fremdfirma bekommen für jedes Zimmer so wenig Zeit, dass sie keine Türklinken, ja zum Teil nicht mal die Duschen sauber machen können. Und wir sind so wenige Krankenschwestern, dass es unmöglich ist, sich bei jedem Keim-Patienten vernünftig zu vermummen oder auch nur einfache Hygiene-Standards einzuhalten.

Aber danach fragen die „Spezialisten“ und die Regierung nicht. Sie haben beschlossen, dass ein Krankenhaus dann genug für seine Hygiene tut, wenn es ausreichend „Hygiene-Beauftragte“ hat! Ich habe selber so eine Weiterbildung zur Hygiene-Beauftragten gemacht: 5 Tage, das war’s. Als ich fertig war, sagt meine Stationsleitung: „Du hast eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Extra Zeit können wir dir dafür nicht geben, wir sind unterbesetzt. Die Hygiene-Aufgaben musst du nebenbei schaffen.“ Ich sollte also nach meiner Schicht noch Zimmer kontrollieren, Hygiene-Protokolle schreiben und, während ich einem Patienten den Verband wechsle, gleichzeitig meiner Kollegin zwei Zimmer weiter Hinweise geben, worauf sie bei der Hygiene achten muss!?
Wundert es einen, dass in Deutschland 15.000 Patienten jährlich an Krankenhauskeimen sterben? An diesem Übel kann sich erst etwas ändern, wenn die Politiker nicht nur schöne Titel verleihen, sondern mehr Personal für Pflege und Reinigung einstellen.

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