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Nr. 93, Januar 2017 - Leitartikel

Nach dem Terroranschlag in Berlin: ein abscheulicher Wahlkampf

Seit dem verabscheuungswürdigen Terroranschlag auf einem Berliner Weihnachtsmarkt hat ein echter Wettstreit begonnen. Jede Partei will im Wahlkampf beweisen, dass sie „was tun“ würde, um den Terror zu bekämpfen. Alle erzählen, wie man angeblich den Anschlag hätte verhindern können und welche neuen Gesetze man einführen müsse. CDU und SPD haben gleich... zehn neue Gesetze angekündigt.

Und bei allen geht es immer um das Gleiche: Wie man Flüchtlinge schneller abschieben und sie bis dahin überwachen und einsperren kann, falls die Behörden sie als gefährlich einstufen.
Von allen Parteien wird so das Bild verbreitet, alle potenziellen Terroristen wären Flüchtlinge. Und man bräuchte sie nur abschieben und die Grenzen vor ihnen verschließen, und das Problem sei gelöst. Dabei muss selbst der Verfassungsschutz zugeben, dass 60% der 548 sogenannten „Gefährder“ deutsche Staatsangehörige sind. Die kann die Regierung nicht abschieben: Ihre Heimat ist Deutschland.

Die Politiker wissen das. Sie wissen, dass sie mit all ihren Propaganda-Maßnahmen nicht den Terrorismus bekämpfen. Das einzige, was sie damit erreichen, ist noch mehr Misstrauen und Ablehnung gegen die Flüchtlinge zu schüren. Doch was kümmert es sie?

Auch von ihren neuen Sicherheits-Regeln, von Fußfesseln oder Polizei-Streifen mit Maschinengewehren lässt sich ein entschlossener Terrorist nicht aufhalten. In Frankreich trug einer der Attentäter eine Fußfessel. Und in Istanbul steht Polizei mit Maschinengewehren vor den Universitäten, Museen, ja sogar an jeder Straßen- und U-Bahnhaltestelle. Bewaffnete Sicherheitsdienste kontrollieren die Besucher am Eingang aller Kaufhäuser, Marktplätze und Diskotheken. Doch nichts davon hat den Anschlag von Sylvester verhindert.
Dafür aber wächst eine andere Bedrohung. Bei jedem Anschlag wird der Staat autoritärer und weitet die Macht von Polizei und Armee weiter aus. Die türkische Regierung tut so, als wollte sie mit den Maßnahmen die Bevölkerung vor dem Terrorismus schützen. In Wahrheit nimmt der Terrorismus zu und die Maßnahmen sollen nur die Macht Erdogans stärken und seine Gegner ausschalten.

Eine ähnliche Entwicklung findet, wenn auch langsamer, in Europa und den USA statt. Auch hier ist die hektische Betriebsamkeit, mit der die Regierungen, ständig neue Gesetze gegen den Terror beschließen, nicht nur Wahlkampf- und ein Weg, um von den Ursachen des Terrorismus abzulenken. Davon, dass die westlichen Großmächte die Hauptverantwortung für Entstehung und Erstarken des Terrorismus tragen: mit ihren Kriegen, ihrer Unterdrückung und verbrecherischen Machtpolitik in den armen Ländern

Überall werden auch hier im Namen der Terrorbekämpfung die Rechte der Bevölkerung eingeschränkt, wird die Macht von Polizei und Armee ausgebaut, die hochbewaffnet mehr und mehr das Stadtbild prägen. So wird das Gefühl von einem Kriegszustand geschaffen, in dem alle – Regierung, Unternehmer und Arbeiter – angeblich zusammen halten müssten. Und sie versuchen den Eindruck zu vermitteln, der Staat wäre unser Freund, der alles tut, um unsere Sicherheit zu schützen.

Diese Leute, die uns seit Jahren nicht einmal vor einfacheren Dingen wie Niedriglöhnen, vor Leiharbeit und Auslagerungen, befristeten Jobs und Armutsrenten schützen, die würden uns vor Terrorismus schützen? Das sollen wir ihnen glauben?
Es ist genau umgekehrt. Sie wollen damit auch von all diesen Problemen ablenken, die unseren Alltag prägen – und davon, wer sie verursacht hat. Denn diese tägliche Unsicherheit ist die Folge eines anderen Krieges, den die Unternehmer mithilfe der Regierung täglich gegen die arbeitende Klasse führen.

Ihre Massenentlassungen, ihre ständigen Drohungen in den Betrieben erzeugt die Angst, ob man morgen noch einen Arbeitsplatz hat. Ihre Lohndrückerei – durch die jeder Fünfte heute weniger als 10 Euro die Stunde verdient – und ihre Angriffe auf die Rente lassen viele in der ständigen Sorge vor der nächsten Stromnachzahlung oder Reparatur leben. Ihre Arbeitshetze lässt viele bangen, wie lange die Gesundheit noch mitmacht und ob man es bis zur Rente schafft...
Ja, über Sicherheits-Gesetze gegen Terror und Flüchtlinge zu reden, die nichts sicherer machen, ist eine ideale Gelegenheit für die Politiker, um im Wahlkampf nicht von den wahren, täglichen Ängsten und Problemen der Arbeiter zu sprechen. Und erst recht nicht darüber, wie man deren Ursache bekämpfen kann: die Profitlogik der Unternehmer und ihr Recht, wegen ihrer Profite die Existenz der arbeitenden Bevölkerung – der wichtigsten Klasse dieser Gesellschaft – zu ruinieren.

Genau davon aber müssen wir Arbeiter sprechen. Unsere Forderungen müssen sich wieder Gehör verschaffen.
Sie wollen uns in einen Krieg hineinziehen, den wir nicht gewollt haben. Sie wollen uns für die Krise ihres Systems bezahlen lassen, für das wir keine Verantwortung tragen. Es reicht!

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