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Nr. 144, Juli 2021 - Ihre Gesellschaft

24-Stunden-Ausbeutung osteuropäischer Pflegekräfte: Eine Folge des kaputtgesparten Gesundheitswesens

Eine bulgarische Pflegekraft hat vor dem Bundesarbeitsgericht geklagt und gewonnen. Wie Hunderttausende meist osteuropäische Frauen hatte sie in Deutschland mehrere Jahre lang einen alten und pflegebedürftigen Menschen betreut, und zwar 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche und dies monatelang am Stück, ohne Pause. Sie hat mit ihm zusammengewohnt, musste Windeln wechseln, putzen, kochen… All das für 950 Euro im Monat!

Denn die bulgarischen und deutschen Agenturen, die sie in die Haushalte vermittelten, haben ihr nur 30 Stunden die Woche zum Mindestlohn bezahlt – unter dem Vorwand, die übrigen 130 Stunden pro Woche (!) wären „nur“ Bereitschaftszeiten. Nun hat das Gericht entschieden, dass diese Stunden Arbeitszeit sind und bezahlt werden müssen. Die Pflegekraft, die Mut gehabt hatte zu klagen, bekommt 40.000 Euro Lohn nachgezahlt.

Das System der Ausbeutung osteuropäischer Pflegekräfte hat in den letzten Jahren so große Ausmaße angenommen, weil viele Menschen ihren oft hilflosen pflegebedürftigen Angehörigen die Zustände in den meisten Pflegeheimen ersparen wollen, in denen die Pflegekräfte nur von einem Zimmer ins nächste hetzen. Die wenigen Pflegeheime, in denen andere Zustände herrschen, sind unbezahlbar. So sind die 24-Stunden-Pflegekräfte oft die einzige Möglichkeit, den Pflegebedürftigen in ihren eigenen vier Wänden eine würdige Versorgung zu gewährleisten. Doch die Würde der
Pflegekraft ist nicht mit eingerechnet.

Damit sich etwas ändert, muss die Gesellschaft eine vernünftige Finanzierung der Pflege der älteren Menschen sicherstellen, statt sie den Angehörigen aufzubürden. Der Staat in einem reichen Land wie Deutschland hätte ausreichend Mittel, um sowohl in den Pflegeheimen als auch in der häuslichen Pflege würdige Zustände für Pflegekräfte und Patienten zu ermöglichen.

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