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Nr. 82, Januar 2016 - Leitartikel

Verachtung von Frauen und von Migranten: zwei Seiten derselben Medaille

Die abscheulichen sexuellen Übergriffe in Köln, verübt von Gruppen stark alkoholisierter junger Männer, sind ein Ausdruck von Verachtung gegenüber Frauen, wie ihn viele in solch systematischer Form und mit solcher Aggressivität nicht kannten. Zu Recht haben sie viele, und auch viele Flüchtlinge, tief schockiert.

Frauen als minderwertige Menschen zu betrachten, an denen man sich vergreifen darf, ist genau wie Rassismus. Es ist eine Form davon, einen Teil der Menschheit für Menschen zweiter Klasse zu halten. Und es ist eine der ältesten, tief verwurzelten Formen – auch hier in Deutschland.
Diejenigen, die heute behaupten, Verachtung und Gewalt gegen Frauen sei ausschließlich ein „arabisches“ Problem und man müsse nur die Grenzen schließen, um sich davor zu schützen, sind Lügner. Und es sind obendrein genau die Kräfte, gegen deren Widerstand die Frauen hier jedes Recht mühsam erkämpfen mussten.

Ja, es sind ausgerechnet CSU und AfD, die sich auf einmal zu Vorkämpfern für die Gleichberechtigung erklären. Und es sind Rocker, deren Clubs junge Mädchen zur Prostitution zwingen, die heute zusammen mit Rechtsradikalen Bürgerwehren für Respekt und Gewaltlosigkeit gegenüber Frauen gründen. Diese Kräfte sind die letzten, die sich um die Rechte der Frauen scheren. Sie missbrauchen die Opfer von Köln als Vorwand für ihre ebenso verachtende Politik – aus kalter politischer Berechnung.
Doch auch bei CDU und SPD gibt es eine gehörige Portion Heuchelei. Die Verschärfung des Sexualstrafrechts, die die CDU jetzt einführen will, um Ausländern „Respekt vor Frauen und ihrer sexuellen Selbstbestimmung“ beizubringen – diese Verschärfung hatten CDU und SPD noch vor wenigen Monaten abgelehnt, als es noch in erster Linie um… deutsche Männer ging.
Die CDU wollte sich bis 1997 auch nicht einmischen, wenn ein Mann seine Ehefrau vergewaltigt… im Namen des Schutzes von Ehe und Familie. Dabei gibt es keinen Ort, wo Frauen so viel Gewalt erfahren wie in der eigenen Familie. Jede dritte Frau in Deutschland hat dies bereits erlebt.

Und welche „westlichen Werte“ gegenüber Frauen haben bitte diese zehntausenden deutschen Geschäftsleute, bei denen es mittlerweile Mode ist, sich zu Abendgesellschaften junge Zwangsprostituierte aus dem Osten zu bestellen? Ist das keine Vergewaltigung?
Ja, auch wenn es nicht so auf offener Straße passiert: Man braucht nicht erst bei anderen „Kulturen“ zu suchen, um auch hier ständig der Verachtung und sogar der Gewalt gegenüber Frauen zu begegnen.

Wahr ist jedoch leider, dass mit der Krise des Kapitalismus überall – in Europa ebenso wie im Nahen Osten oder Afrika – Reaktionäre stärker werden, also politische Kräfte, deren Ideologie auf den niedrigsten Instinkten, auf der Erniedrigung und Verfolgung anderer Bevölkerungsgruppen beruht: Migranten, Andersgläubige und nicht zuletzt Frauen. In zahlreichen Ländern haben sie die Lage für Frauen bereits in eine Hölle verwandelt.

Diese Entwicklung ist eine Katastrophe für alle. Und wir müssen alles tun, um uns ihr entgegen zu stellen.
Doch dabei dürfen wir nicht auf die Herrschenden zählen. Wenn es denen mit dem Schutz der Frauen wirklich ernst wäre, wie könnten sie da heute beschließen, überführte Sexualstraftäter nicht hier einzusperren, sondern sie in Krisen- und Kriegsländer auszuweisen, wo sie den viel schutzloseren Frauen noch viel einfacher Gewalt antun können?
Überhaupt sind ihre neuen Gesetze zur Abschiebung „krimineller Asylbewerber“ nichts als Demagogie. Sie werden keine einzige Frau vor Übergriffen schützen.

Doch sie schüren die Stimmung mit, die den Rechtsradikalen Auftrieb gibt. Wir haben gesehen, wie die im Namen von „Sicherheit und Ordnung“ auf Menschenjagd gehen, Flüchtlinge zusammenschlagen oder auf sie schießen, Läden von Linken und Ausländern zertrümmern, dutzende Brandanschläge auf Wohnheime verüben. Von diesen „kriminellen Deutschen“ wird weniger geredet. Doch die letzten Wochen geben einen kleinen Vorgeschmack von dem, was uns alle erwarten kann, wenn diese Kräfte wirklich stärker werden.

Die Arbeiterklasse besteht aus Frauen und Männern, aus Migranten und Einheimischen. Sie kann nur verlieren, wenn Misstrauen oder Hass die einen gegen die anderen stellt und Ideologien stärker werden, die Frauen oder Migranten als Menschen zweiter Klasse ansehen.

Gerade in der heutigen Lage ist es wichtig, dass es in den Betrieben und Stadtteilen Arbeitende gibt, die dafür eintreten, dass wir alle – ob Frauen oder Männer, Migranten oder Deutsche – gleichberechtigt und solidarisch zusammenstehen. Und uns nicht ablenken lassen von dem einzigen Kampf, der tatsächlich etwas ändern kann an unserer täglichen Unsicherheit, an der Unsicherheit unseres Arbeitsplatzes, unserer Löhne und letztlich an dieser sich rückwärts entwickelnden und verrohenden Gesellschaft: dem Kampf gegen die heute herrschende kapitalistische Klasse.

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