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Nr. 171, Dezember 2023 - Ihre Gesellschaft

Die Rechtsradikalen in Europa werden stärker: eine Bedrohung für uns alle

In Dublin (Irland) haben am 23. November hunderte junge Leute, aufgehetzt von Rechtsradikalen, ein Stadtviertel verwüstet, in dem viele Migranten leben. Mit den Schlachtrufen „Irland ist voll“ und „Schmeißt sie raus“ zogen sie durch das Viertel, zündeten Autos und Busse an und attackierten Bewohner.

Zuvor hatte ein geistig gestörter Mann – irischer Staatsbürger und seit Jahrzehnten dort lebend - in seinem Wahn drei Kinder und eine Angestellte mit einem Messer angegriffen. Doch weil er algerischer Herkunft ist, verbreiteten Rechtsradikale in den sozialen Netzwerken die Botschaft, ein Ausländer habe irische Kinder angegriffen, und zettelten so diesen willkürlichen Racheakt gegen alle Migranten und letztlich alle Bewohner des Stadtteils an.

Nur einen Tag später kam es in Südfrankreich zu einem ähnlichen Vorfall. Ein Streit zwischen Jugendlichen bei einem Dorffest eskalierte, ein Junge wurde getötet. Doch eine Gruppe Neonazis machte daraus einen „Mord von Migranten an einem Franzosen“.
Nachdem sie von Polizisten die Liste mit Namen und Adressen der Verdächtigen zugespielt bekommen hatten, reisten 80 - 100 Neonazis aus ganz Frankreich in das Arbeiterviertel, in dem die Verdächtigen wohnen. Mit Losungen wie „Der Islam raus aus Frankreich“ und „Man muss sich ihre Mütter und Großmütter vorknöpfen“ zog der Mob mit Eisenstangen und Baseballschlägern durch das Viertel, um wahllos Migranten zu jagen.

Noch tagelang trauten sich Familien mit arabischem Hintergrund nicht, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Und die Bürgermeisterin der konservativen Partei (Les Républicains) goss noch Öl ins Feuer, indem auch sie Migranten und speziell die Arbeitenden dieses Viertels mit Verbrechern gleichsetzte.

All das erinnert stark an das, was hier vor einigen Jahren in Chemnitz passiert ist. Und es ist leider mehr als wahrscheinlich, dass dies keine Einzelfälle bleiben. Zwar gibt es seit Jahrzehnten kleine Gruppen rechtsradikaler Schläger, die Migranten und Andersdenkende zu terrorisieren versuchen, und bislang sind sie ziemliche Außenseiter. Doch in den letzten Jahren trauen sie sich überall offener und aggressiver aufzutreten: Ermutigt durch die Wahlerfolge extrem rechter Parteien, die in immer mehr Ländern Europas sogar an der Regierung sind. Und ermutigt dadurch, dass mittlerweile quasi alle Parteien und Medien auf die ein oder andere Art die Hetze gegen Migranten und Muslime übernommen haben.
Von den Konservativen über die Grünen bis zu großen Teilen der parlamentarischen Linken: Alle stellen mittlerweile die Migranten als „Problem“ dar und machen sie zum Sündenbock für so ziemlich alle Probleme – von fehlenden Wohnungen, Jobs und Arztterminen bis zu den niedrigen Renten. Für alle Probleme also, für die in Wahrheit die reichen Kapitalisten und die herrschenden Politiker verantwortlich sind.

Nehmen wir doch nur bei uns die CDU! 16 Jahre war sie an der Regierung. Sie trägt also eine entscheidende Verantwortung dafür, wie das gesamte öffentliche und soziale Leben zugunsten einer kleinen Minderheit Reicher kaputtgespart wurde, wodurch unser Alltag mühseliger und härter geworden ist.

Und nun versuchen Teile der CDU (zusammen mit der AfD) davon abzulenken, indem sie mit immer absurderen Anschuldigungen und aggressiveren Forderungen gegen Migranten um sich werfen. Bis dahin, dass sie in ihrem neuen Grundsatzprogramm fordern, Flüchtlinge aus Deutschland in Lager zu deportieren, die sie in armen Ländern eröffnen wollen.

All das erzeugt ein Klima, in dem sich Neonazis stark genug fühlen, offen aufzutreten. Werfen sie sonst heimlich und unerkannt Brandsätze in Flüchtlingsheime oder schmeißen Scheiben von linken Parteien oder Gewerkschaften ein, so fühlen sie sich nun häufiger sicher genug, um am helllichten Tag Hetzjagten auf Migranten zu veranstalten und ganze Stadtviertel zu terrorisieren. Sie setzen darauf, dass sie bei einem Teil der Bewohner (und auch bei Teilen der Polizei) zumindest passive Unterstützung finden.

Auch deshalb ist der von fast allen Parteien und Medien geschürte Hass auf Migranten und Muslime so lebensgefährlich für die gesamte Arbeiterklasse. Nicht nur, dass er keines unserer drängenden Probleme – Unsicherheit, Armut, Ausbeutung – löst. Er droht unsere Lage drastisch zu verschlimmern. Stellen wir uns doch nur vor, was passiert, wenn diese Neonazis mehr Anhänger gewinnen, die sich verleiten lassen, auf den erstbesten Sündenbock einzuschlagen.

Was wir dann bekommen – und wofür die herrschenden Parteien den Boden bereiten – ist Terror und Bürgerkrieg in den Arbeiterstadtteilen, in denen wir leben. Denn was die Rechtsradikalen wollen, ist einen Graben aus Hass und Gewalt zu schaffen zwischen unseren Kindern, die zusammen zur Schule gehen; zwischen Arbeiterinnen und Arbeitern, die am nächsten Morgen in der gleichen Bahn fahren und teilweise im gleichen Betrieb arbeiten.

Wenn sich die Dinge so weiterentwickeln, werden wir uns vielleicht bald die Frage stellen müssen, wie wir uns in den Arbeitervierteln organisieren können, um solchen Terror abzuwehren und unsere Nachbarn zu schützen.

Erst einmal aber brauchen wir dringend Aktive in den Betrieben und Stadtteilen, die die Idee verbreiten, dass wir Arbeitenden nur dann etwas gegen all die Verschlechterungen auf der Arbeit und in unserem Alltag unternehmen können, wenn wir anfangen, gegen die Herrschenden in Wirtschaft und Politik zu kämpfen. Und dass dafür alle zusammenhalten müssen, die Opfer der Krise, der Kapitalisten und ihres Systems sind – egal wo sie geboren wurden oder welche Religion sie haben.

Nur solche gemeinsamen Streiks und Kämpfe, in denen Arbeitende verschiedener Herkunft Seite an Seite stehen und ihre gemeinsamen Interessen und ihre Stärke erleben, kann das Gefühl von Ohnmacht und Frust gegenüber der sozialen Abwärtsspirale vertreiben, das der Nährboden für das Erstarken der Rechtsextremen ist.

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