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Nr. 107, April 2018 - Internationales

Frankreich: Eisenbahner im Streik gegen den Angriff auf ihre Arbeitsbedingungen

Vor einem Jahr ist Macron in Frankreich Präsident geworden. Seitdem hat er ein Gesetz nach dem anderen verabschiedet, das den Superreichen ermöglicht, sich noch mehr und noch schneller zu bereichern: Die Konzerne müssen weniger Steuern zahlen, von der Vermögenssteuer ist quasi nichts übrig geblieben…
Für die arbeitende Bevölkerung hingegen hat er Schlag auf Schlag Maßnahmen durchgesetzt, die ihr Leben schwerer machen. Dank Macron können die Arbeiter noch einfacher entlassen werden, haben noch unsicherere und noch schlechtere Arbeitsbedingungen. Und geht es nach ihm, so gibt es bald noch 120.000 Arbeitsplätze weniger in Schulen, Krankenhäusern, im ganzen Öffentlichen Dienst.

Und nun hat er einen regelrechten Frontalangriff auf die Arbeiter der französischen Bahn (SNCF) begonnen. Er will ihnen die Rechte wegnehmen, die die Arbeiter bei der Bahn noch hatten. Alle, die neu eingestellt werden, sollen weniger Rente und weniger Lohn bekommen und kaum noch Kündigungsschutz haben. Und vor allem will Macron, dass Strecken und Arbeiten der Bahn einfacher privatisiert werden können. Die Eisenbahner könnten dann gezwungen werden, zu den Privatbetrieben zu wechseln, die die Strecke oder Werkstatt übernommen haben: Betriebe, in denen wesentlich schlechtere Bedingungen herrschen.
Die Eisenbahner wollen diesen Angriff auf ihre gesamten Arbeitsbedingungen verhindern. Deshalb haben sie seit Ende März angefangen zu streiken. Sie kämpfen dagegen, dass all die Verschlechterungen, die die Bosse bereits in den Privatbetrieben durchsetzt haben, auch bei der Bahn stattfinden. Und sie wollen verhindern, dass die junge Generation in noch größerer Unsicherheit und für noch schlechtere Löhne und Renten arbeitet.

Die Regierung und die Medien tun so, als würden die Arbeitenden bei der Bahn – weil sie noch nicht ganz so schlechte Bedingungen haben wie in vielen Privatbetrieben – unerträgliche "Privilegien" genießen. Sie versuchen auf diese Weise, die Eisenbahner von der übrigen Bevölkerung zu isolieren. Doch in Wahrheit betrifft der Angriff auf die Eisenbahner alle Arbeiter.
Die Eisenbahner haben den Ruf, dass sie mehr als andere in der Lage sind, Widerstand zu leisten. Macron will sie genau deswegen kleinkriegen. Er hofft, dass er danach die gesamte Arbeiterklasse in die Knie zwingen und ihr ohne großen Widerstand Verschlechterungen in noch ganz anderer Größenordnung aufzwingen kann. Gerade deshalb ist es besonders wichtig, dass die Arbeiter bei der Bahn sich wehren.
Bislang beteiligen sich viele an dem Streik, wenn auch in unterschiedlichem Maß. Manche streiken nur eine Stunde mit, manche einen Tag, andere an allen Streiktagen… Insbesondere bei den Lokführern und Zugbegleitern ist die Streikbeteiligung sehr hoch.

Nachdem es ein Jahr lang kaum Reaktionen auf die Angriffe gegeben hatte, bringen derzeit außerdem verschiedene Gruppen mit Protesten und einzelnen Streiktagen ihren Unmut über die Verschlechterungen in ihrem Bereich zum Ausdruck: Beschäftigte der Krankenhäuser und Altenheime, Müllwerker, Rentner, Arbeitende des Öffentlichen Dienstes, Studenten, ebenso Arbeiter privater Konzerne wie bei Air France oder der Einzelhandelskette Carrefour. All das schafft eine etwas andere Stimmung und stärkt die streikenden Eisenbahner.

Wie wird ihr Streik weitergehen? Es gibt gerade bei der französischen Bahn Traditionen, dass sich alle Streikenden Tag für Tag in ihren jeweiligen Betrieben versammeln, jeden Tag gemeinsam entscheiden, ob und wie sie weiter streiken wollen, wo sie über die Entwicklung des Streiks diskutieren und organisieren, was sie tun wollen: zum Beispiel, sich an die Fahrgäste wenden, an nicht-streikende Bahnarbeiter, an Arbeiter anderer Betriebe...
Doch statt an diese Traditionen anzuknüpfen, hat die Gewerkschaftsführung diesmal von oben entschieden, dass nur an einzelnen Tagen gestreikt wird und sogar bereits für drei Monate festgelegt, welche Tage dies sein werden. Dies nimmt nicht nur den Streikenden das Recht, über ihren eigenen Streik zu entscheiden und ihn zu gestalten. Es ist vor allem auf Dauer zermürbend.

Noch allerdings ist alles offen. Die Eisenbahner erleben derzeit an den Streiktagen ihre Stärke und sind stolz auf die große Streikbeteiligung. Diejenigen, die Flugblätter verteilen oder sich an anderen Aktionen in der Öffentlichkeit beteiligen, werden bestärkt durch die Solidarität von anderen Arbeitern und Fahrgästen, die sie dort erleben. Zum ersten Mal seit Jahren fangen einige an sich zu sagen, dass sie nicht nur protestieren, sondern gegen die Regierung gewinnen könnten.
Und so bleibt eine Chance, dass der Kampf weitergehen und sich über die einzelnen Tage hinaus ausweiten kann.

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