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Nr. 91, November 2016 - Leitartikel

Mit Entlassungen können und dürfen wir uns nicht „vertragen“

Jeder fünfte Arbeiter der Marke VW in Deutschland soll in den nächsten Jahren seinen Arbeitsplatz verlieren: 23.000 Arbeiter in Deutschland… und 30.000 weltweit.
Die Konzern-Spitze hat sich eine ganze Palette an Ausreden ausgedacht, um diesen heftigen Angriff zu rechtfertigen: Die Lage nach dem Abgas-Skandal sei schwer, die Autos würden zu wenig Gewinn abwerfen, der zukünftige Bau von Elektro-Autos würde weniger Arbeitskräfte erfordern…

Doch was sie nicht gesagt haben, ist dass es dem VW-Konzern so gut geht wie noch nie. Selbst nach dem Abgas-Skandal – also in der ersten Jahreshälfte 2016 – hat der VW-Konzern mehr Autos verkauft als alle anderen Autokonzerne auf der Welt. Und hat damit 7,5 Milliarden Gewinn gemacht. Das Vermögen der Haupt-Aktionäre von VW, der Familien Porsche und Piëch, ist bereits auf gigantische 65 Milliarden Euro angewachsen.
Bei solchen seit Jahren wachsenden Gewinnen gibt es keine Ausrede, auch nur einen Arbeiter zu entlassen!

Doch der Abgas-Skandal hat das Bild erzeugt, VW habe ernste Probleme. Und das wollen sie nun ausnutzen, um die Summen, die ihr Abgas-Betrug kostet, bei den Arbeitern einzusparen – bei denen, die mit dem ganzen Betrug nichts zu tun hatten. Während die Verantwortlichen, diese Manager und Großaktionäre, auf keinen Cent ihrer gigantischen Einnahmen verzichten müssen.

Und vor allem wollen sie die Gelegenheit ausnutzen, um ihre Rekord-Gewinne noch weiter zu erhöhen, indem sie „die Produktivität in allen VW-Werken um 25% steigern“.
Im Klartext: Sie wollen 23.000 entlassen – und die Übriggebliebenen sollen deren Arbeit mitmachen. Jeder soll 25% mehr malochen, soll sich noch schneller die Knochen kaputt machen, damit die „Rendite“ für die VW-Bosse steigt!

In der Hoffnung, Wut und Widerstand der VW-Arbeiter gegen diesen Generalangriff zu verhindern, erzählen die VW-Bosse, diese Entlassungen wären „nötig“, um die „Zukunft zu sichern“. Verschiedene Regierungspolitiker unterstützen sie dabei.

Und auch der Betriebsratsvorsitzende von VW stellt sich ernsthaft hin und erklärt, wenn die Arbeiter heute akzeptieren, dass 23.000 von ihnen entlassen werden – dann könnten alle übrigen „neun Jahre ohne Angst“ leben. Als würden die Bosse, wenn sie so einen großen Angriff widerstandslos durchsetzen, anschließend aufhören!

Auch versuchen die VW-Bosse, den Angriff herunterzuspielen, indem sie behaupten, es gäbe ja gar keine Entlassungen, sondern „nur sozialverträglichen Stellenabbau“. Und auch hierbei unterstützt sie die Betriebsrats-Spitze.

Doch kaum ein Arbeiter nimmt ihnen diese Lügen ab, und zu Recht. Denn was bitte ist sozialverträglich daran, einen Großteil der 5.700 Leiharbeiter zu entlassen – Leiharbeiter, die zum Teil seit vielen Jahren bei VW arbeiten, über eine Leiharbeitsfirma, die VW selber gegründet hat und die auch nur für VW arbeitet?

Was ist sozialverträglich daran, wenn man Arbeiter vor die Wahl stellt, entweder mit Abfindung „freiwillig“ zu kündigen… oder einen anderen Arbeitsplatz mehrere hundert Kilometer entfernt anzunehmen? Oder wenn man sie mit massiv gekürzten Renten in Frührente schickt?
Was ist sozialverträglich daran, wenn 30.000 Arbeitsplätze für die junge Generation dauerhaft vernichtet werden?
Und was ist sozialverträglich daran, wenn die Übriggebliebenen in den VW-Werken demnächst schon mit 45 körperlich am Ende sind, weil sie alle noch schneller, noch mehr arbeiten müssen, an den Pressen, am Fließband…

Ihr „Stellenabbau“ ist nur ein verharmlosendes Wort für das, was sie in Wahrheit tun: Sie entlassen Arbeiter, vernichten Arbeitsplätze und verschärfen die Ausbeutung aller Anderen. Und daran ist nichts sozial verträglich, weder bei VW noch sonst irgendwo.

Ob bei Siemens, E.ON, Opel oder Thyssen – in allen Konzernen haben diese angeblich „sozial-verträglichen“ Entlassungen die Lage der Arbeiter verschlechtert, während die Profite in die Höhe wachsen. Sie haben die Arbeitsbelastung in die Höhe geschraubt und feste Jobs durch Leiharbeit und Subfirmen ersetzt. Sie haben zur massiven Senkung der Löhne und Renten beigetragen. Ganz zu schweigen von den Auswirkungen, die sie in all den kleineren Firmen haben, die von diesen Konzernen abhängig sind.

Diese Entlassungen zerstören unsere Lebensbedingungen. Und deshalb können und dürfen wir Arbeiter uns nicht mit ihnen „vertragen“! Wir müssen unsere materiellen Interessen verteidigen: gegen die Großaktionäre und ihre Profitinteressen, und auch gegen Politiker und Betriebsräte, die sie dabei unterstützen.

Wir müssen wieder anfangen, uns ihren Angriffen entgegenzustellen. Und letztlich irgendwann durchsetzen, dass nicht länger Unternehmer und ihre Profitlogik über die Betriebe entscheiden. Denn die sind eindeutig nicht sozial verträglich.

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