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Nr. 165, Mai 2023 - Leitartikel

Medikamente: Wir müssen unabhängig werden… von den Kapitalisten

Erst im Winter sind Eltern verzweifelt von einer Apotheke zur nächsten gefahren, weil es für ihre Kinder kaum noch Medikamente gegen Fieber und Husten gab. Nun gehen immer mehr wichtige Antibiotika für Kinder aus.
Von Jahr zu Jahr wird der Mangel bei Medikamenten schlimmer. Es fehlen Chemotherapien, Blutdrucksenker, Insulin-Präparate... Im letzten Jahr waren bereits 564 dieser lebenswichtigen Medikamente wochen-, oft sogar monatelang nicht zu bekommen – doppelt so viele wie vor vier Jahren.

Nicht nur in Deutschland. Weltweit breitet sich dieser Medikamenten-Mangel aus, obwohl die technischen Produktionsmöglichkeiten nie besser waren. Und warum? Weil die Pharmakonzerne, um „Kosten zu sparen“, fast alle Lager abgeschafft haben und die Herstellung eines Medikaments auf oft nur noch eine oder zwei Fabriken weltweit konzentriert haben. Die können die weltweite Nachfrage gerade so abdecken... wenn sie 365 Tage im Jahr durchproduzieren. Daher reicht mittlerweile eine einzige größere Störung in einer Fabrik oder der Lieferkette und schon fehlen Medikamente, oft monatelang.
Die Jagd der Pharmakonzerne nach immer mehr Profit ist also die Ursache dafür, dass uns heute immer häufiger wichtige Medikamente fehlen!

Für die Mehrheit der Weltbevölkerung ist dies alltäglich geworden. Für viele Menschen in Asien, Afrika und Lateinamerika, die keine Krankenversicherung und wenig Geld haben, produziert die Pharmaindustrie nämlich gar keine Medikamente, weil es sich „nicht lohnt“. Sie können an einer einfachen Infektion oder Bluthochdruck sterben – weil in der Logik des Kapitalismus nur das produziert wird, was genug Gewinn einbringt.
Doch mittlerweile haben sie in ihrer Profitgier so viel bei Produktion und Lieferketten eingespart, dass sie nicht mal mehr die Medikamente in ausreichender Menge hergestellt bekommen, die sie problemlos verkaufen könnten.
Und was macht die Regierung? Zwingt sie die Konzerne mehr Medikamente zu produzieren oder nimmt die Produktion selbst in die Hand? Nein, sie versucht uns zu erzählen, dass das Problem nur darin bestehe, dass „zu viel“ in Indien und China produziert werde, dass Europa „unabhängig“ bei der Medikamentenherstellung werden müsse – und bietet den Pharmakonzernen Unsummen öffentlicher Gelder, wenn sie einzelne Produktionen nach Europa verlagern.

Mal abgesehen davon, dass es keine „Unabhängigkeit“ geben kann, weil für die Medikamente Rohstoffe und Produkte von mehreren Kontinenten notwendig sind: Was sollte dadurch besser werden? Der Sanofi-Konzern zum Beispiel stellt seine Insulinpräparate in Frankfurt her. Trotzdem sind sie hier derzeit ein halbes Jahr lang nicht zu bekommen – wegen einer größeren Anlagen-Störung. Denn nur, weil eine Anlage in Deutschland steht, sind wir ja nicht „unabhängig“ von deren Störungen.
Das Problem ist nicht, wo produziert wird, sondern dass jedes Medikament aus Profitgründen insgesamt in zu wenig Fabriken – oft nur in ein oder zwei – und ohne Lager produziert wird.

Und überhaupt, wenn der Standort einer Fabrik eine so große Rolle spielen würde, müsste die Bevölkerung in Indien dann nicht bestens mit Medikamenten versorgt sein? Doch genau das Gegenteil ist der Fall! Selbst die von AstraZeneca in Indien produzierten Corona-Impfstoffe bekam die Bevölkerung in Indien anfangs nicht, obwohl die Pandemie dort grausam wütete. Stattdessen gingen die Impfstoffe zuerst nach Europa und in die USA... weil dort am meisten dafür bezahlt wurde.
All unsere Politiker, die so viel über die angebliche „Abhängigkeit“ von Indien oder China faseln, fanden das übrigens nicht empörend. Dass die Bevölkerung der ärmeren Länder abhängig ist und sich den Entscheidungen der reichsten Staaten und Konzerne beugen muss, finden sie völlig in Ordnung.
Die Pharmakonzerne liefern grundsätzlich an den, der ihnen am meisten bezahlt. Und so schaffen es diese parasitären Konzerne, aus dem Mangel noch Gewinn zu schlagen. Sie organisieren mittlerweile einen regelrechten Wettkampf, welcher Staat ihnen für die knapp gewordenen Medikamente am meisten bietet.
Die deutsche Regierung macht auch prompt dabei mit und bietet ihnen… bis zu 50% höhere Preise an! Was nichts anderes bedeutet, als dass unsere Krankenkassen noch mehr geplündert werden, noch weniger Geld für Behandlungen und Therapien da ist – weil noch mehr Geld im Rachen der Pharmaindustrie verschwindet, die heute schon zu den Branchen mit der höchsten Profitmarge zählt.

„Wir“ – die arbeitende Bevölkerung – sind weltweit abhängig von den profitgierigen, parasitären Pharmakonzernen, von denen die größten übrigens fast alle aus den USA und Europa kommen. Und diese Abhängigkeit ist das Problem.
Dass die Politiker stattdessen von einer notwendigen „Unabhängigkeit“ von Asien faseln, ist nicht nur ein billiges Ablenkungsmanöver. Sie versuchen die Empörung über die fehlenden Medikamente auszunutzen für ihre gefährliche Stimmungsmache, die uns auf größere Konflikte – auch militärische – insbesondere mit China einstimmen soll. Lassen wir uns da nicht reinziehen! Die wahren Fronten verlaufen nicht zwischen den Ländern, sondern zwischen den Arbeitenden und den Konzernen – weltweit.

Erst wenn die arbeitende Bevölkerung die Konzerne vergesellschaftet hat und selber die Kontrolle über sie übernimmt, wenn nicht mehr eine Handvoll Kapitalisten und ihre Profitlogik entscheiden, sondern die Interessen der Allgemeinheit – dann ist der Weg frei, um weltweit ausreichend Werke zu bauen und so der gesamten Menschheit den Zugang zu allen wichtigen Medikamenten und allen Errungenschaften der modernen Medizin zu eröffnen.

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