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Nr. 64, Mai 2014 - Internationales

Brasilien: Wo ist das Brot zu den Spielen?

Je näher die Fußballweltmeisterschaft rückt, desto lauter werden die Zweifel von FIFA-Verantwortlichen, ob die Entscheidung, die WM in Brasilien stattfinden zu lassen, richtig war. Oh, nicht etwa, weil es sie empören würde, dass ein Teil der brasilianischen Bevölkerung in absoluter Armut und Elend haust und die teure WM (die teuerste aller Zeiten) dieses Elend noch verschlimmert.

Nein, was der FIFA Sorgen bereitet ist, dass ein Teil der Bevölkerung sich dagegen wehrt. Keine Woche, ja kein Tag vergeht ohne neue Proteste.

Schon vor einem Jahr waren in wochenlangen Protesten zum Teil eine Million Menschen auf die Straße gegangen – empört darüber, wie korrupte Politiker für die WM die öffentlichen Kassen plündern und damit die Taschen der Konzernchefs füllen, während man vor der Tür eines Krankenhauses sterben kann, weil kein freies Bett oder kein Arzt da ist, während Schulklassen monatelang ohne Lehrer bleiben und die Fahrkarten für die städtischen Busse so teuer geworden sind, dass sie ein Drittel des Lohns verschlingen.

Seit die WM näher rückt, sind die Gründe für die Empörung nicht weniger geworden. Weil kaum ein Stadion und kein Flughafen rechtzeitig zur WM fertig wird, sind die Baustellen für die Arbeiter lebensgefährlich geworden: Ohne Rücksicht auf Verluste werden sie angetrieben, schneller und immer schneller zu arbeiten, Tag und Nacht, ohne sich Zeit für Sicherheitsmaßnahmen zu nehmen, ohne auf Anzeichen für Gefahren zu achten… Es vergeht keine Woche ohne grausame und nicht selten tödliche Unfälle.

In Sao Paulo führte die Wut über diese skrupellosen Baukonzerne, die Milliarden für den Bau von Stadien geschenkt bekommen, während für die Arbeiter keine bezahlbaren Wohnungen gebaut werden, zu drei Protestmärschen obdachloser Arbeiter, die in der Besetzung der Büros der drei größten Baukonzerne endeten.

Die Obdachlosigkeit hat durch die explodierenden Grundstückspreise und Mieten in den WM-Städten dramatisch zugenommen. Und sie wird noch dadurch verschlimmert, dass die Regierung seit Monaten versucht, die „Schandflecken“ der Armut und mögliche Unruhe-Herde zu vernichten. Bulldozer walzen ganze Armenviertel platt. Ein Teil der Bewohner wird viele Kilometer entfernt in neue Slums zwangsumgesiedelt, die anderen müssen sehen, wo sie bleiben.

In anderen Armenvierteln organisiert die Polizei regelmäßig Großeinsätze, verhaftet, foltert und ermordet mögliche Unruhestifter und alle, deren Nase ihnen nicht passt. Wie den jungen Vater, den die Polizei am 21. April folterte, ermordete und seine Leiche einfach in einem Kindergarten liegen ließ, und dessen Tod die Einwohner des Armenviertels so sehr empörte, dass sie mit Demonstrationen und Barrikaden bis in die berühmten Touristenviertel von Copacabana die Polizei aufforderten, aus den Slums zu verschwinden.

Ausnahmegesetze, Zwangsumsiedlungen, Folter: Nichts haben die Organisatoren der FIFA und die brasilianische Regierung unversucht gelassen, um dafür zu sorgen, dass keine sozialen Unruhen das Image des Großereignisses WM beflecken oder gar die damit verbundenen Milliardengeschäfte der Wirtschaft beeinträchtigen.
Doch erreicht haben sie das Gegenteil. Denn die einfache Bevölkerung in Brasilien lässt sich nicht mit Spielen abspeisen – sie verlangt auch das Brot.

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