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Nr. 44, Juli 2012 - Internationales

Ägypten: Armee und Moslembrüder teilen sich die Rollen auf

Die Armee in Ägypten hat das Parlament aufgelöst und sich zur alleinigen Gesetzgeberin erklärt. Sie hat damit allen klar gemacht: Wahlen hin oder her – sie, die Armee, herrscht in Ägypten. Sie kontrollierte schon unter Diktator Mubarak die Staatsbeamten, die staatlichen Verträge, Gefängnisse und Waffen ebenso wie bedeutende Teile der Wirtschaft. Und diese politische und wirtschaftliche Macht gedenkt sie auch weiterhin auszuüben.

Gleichzeitig stellen die Rivalen der Armee, die islamistischen Moslembrüder, den neuen Präsidenten. Und auch sie verfügen über großen Einfluss. Unter Mubaraks Diktatur verankerten sie sich gerade in den ärmsten Stadtteilen und Bevölkerungsgruppen. Um die Moschee herum organisierten die Moslembrüder ein Netz an sozialen Einrichtungen, um die sich der Staat nicht kümmerte: Armenspeisungen, medizinische Versorgung…

Sie milderten das schlimmste Elend, das sonst schneller zu sozialen Explosionen hätte führen können. Besonders die in- und ausländischen Kapitalisten betrachteten sie deshalb mit Wohlwollen, erleichterten ihnen die Moslembrüder doch die widerstandslose Ausbeutung der Arbeiter und kanalisierten mögliche Wut in religiöse Bahnen, die für die Kapitalisten ungefährlich waren. Auch für die Diktatur der Armee waren die Moslembrüder in dieser Funktion letztlich eine Stütze.

Da die Moslembrüder unter der Diktatur also die einzige geduldete, größere und organisierte Opposition waren, konnten sie ihren Einfluss in den Ereignissen nach dem Rücktritt Mubaraks ausbauen. Dementsprechend verlangen sie heute mehr Posten und Einfluss im Staat. Und so scheint im Moment alles auf eine mehr oder weniger konfliktvolle gemeinsame Herrschaft von Armee und Islamisten hinauszulaufen.

Für viele Menschen muss dies eine schlimme Enttäuschung sein: Eine gemeinsame Diktatur von Armee und Islamisten über die Gesellschaft war sicher nicht das, wofür vor 15 Monaten Hunderttausende wochenlang auf die Straße gegangen sind. Damals wunderten sich viele Journalisten, warum die Armee nicht schoss, warum sie ihren Diktator nicht verteidigte, sich sogar auf die Seite der Demonstranten zu stellen schien und „die Einführung der Demokratie“ versprach. Heute ist der Grund offensichtlich, der eigentlich damals schon zu sehen war: Die Armee opferte Mubarak, um ihre eigene Herrschaft zu schützen.

Sie taten alles, damit die Bevölkerung ihnen vertraute, damit sie sich von der politischen Bühne wieder zurück zog und der Armee die Macht überließ. Bei diesem Manöver wurden sie weltweit von vielen Politikern unterstützt, die sofort nach Mubaraks Rücktritt geschrien haben, die Revolution habe gesiegt, jetzt sei die Demokratie da. Auch sie wollten nämlich, dass die Massen denken, sie hätten schon gewonnen, damit die Bewegung endet, ohne dass die wirklichen Machtverhältnisse, die Diktatur der Armee und erst recht die Diktatur der Kapitalisten auch nur angetastet wurden.

Heute müssen die Massen in Ägypten die bittere Erfahrung machen, dass alle Versprechen der Herrschenden nichts wert sind, solange sich die Arbeitenden in den Kämpfen nicht auch die Mittel erobern, um die Durchsetzung der Versprechen zu überwachen und zu beeinflussen. Kein Versprechen haben die Herrschenden eingelöst: weder die Verringerung der Armut und Arbeitslosigkeit, noch das Recht, gefahrlos seine Meinung zu sagen, ja nicht einmal die Fassade eines demokratischen Parlaments. Und die Diktatur wird auch bleiben, solange die arbeitenden Massen nicht ihre Wurzel, die Allmacht der Armee und der Kapitalisten bekämpfen.

All diese bitteren Erfahrungen waren jedoch nicht umsonst, wenn sich unter den vielen Leuten, die vor einem Jahr angefangen haben zu kämpfen, heute welche finden, die die Lehren aus diesen Erfahrungen ziehen und sie verbreiten wollen: Damit die Arbeitenden Ägyptens das nächste Mal, wenn viele den Mut und die Kraft finden, sich gegen Diktatur und Ausbeutung zu erheben, besser vorbereitet sind.

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