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Nr. 72, Februar 2015 - Leitartikel

Griechenland: Für die Arbeiter hat der Kampf erst begonnen

Trotz aller Drohungen von Merkel und anderen Staatschefs: Mit der Wahl für Syriza Ende Januar hat die griechische Bevölkerung den Mut gehabt, Nein zu sagen. Nein zu noch mehr Einsparungen, Nein zu noch mehr Opfern. Als erste Bevölkerung in Europa hat sie den Mut gehabt zu fordern, dass nicht mehr die einfache Bevölkerung für die Schulden bezahlen soll, sondern die Banken und Reichen, für die die Schulden gemacht wurden.

Sie hat damit ein Kräftemessen ausgelöst, ob sie wollte oder nicht: Ein Kräftemessen der arbeitenden Bevölkerung mit der kapitalistischen Klasse, den Mächtigen in Griechenland und Europa. Mit den europäischen Bankern und Spekulanten, der Europäischen Zentralbank, den griechischen Reedern und Millionären, die alle empört darüber sind, dass sich die griechische Bevölkerung nicht weiter von ihnen auspressen und verarmen lassen will.

Die Bevölkerung hat bereits fünf Jahre Höllenfahrt hinter sich. Außer den paar hundert kapitalistischen Familien wurde keiner verschont: Die Arbeitslosigkeit hat sich verdreifacht. Massenhaft Kleinbetriebe sind Bankrott. Löhne und Renten sind zum Teil um 30% gesunken.
Arbeiterfamilien leben ohne Strom und Heizung, stehen Schlange an Suppenküchen. Ingenieure sind obdachlos. Hilfsorganisationen, die sich früher nur um Flüchtlinge aus Afrika kümmern mussten, sind heute die einzige medizinische Versorgung für ganze Teile der griechischen Bevölkerung.

Ja, die „Hilfsprogramme“ haben die Banken gerettet, die Griechenland Geld geliehen hatten. Aber sie haben ein relativ entwickeltes Land in ein Armenhaus verwandelt. Und wenn die Wortführer in Europa so wütend auf den neuen griechischen Staatschef Tsipras sind und ihn als unverantwort¬¬lich beschimpft haben, dann weil er bei Teilen der Bevölkerung die Hoffnung geweckt hat, dass mit diesen endlosen Opfern der Bevölkerung nun Schluss sein könnte. Und weil sie Angst haben, dass auch andere Bevölkerungen in Europa diese Hoffnung schöpfen und die Griechen nachahmen.

Deshalb haben sie Griechenland sofort das Messer an die Gurgel gesetzt: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihnen die wichtigste Finanzierungsquelle abgedreht, was den Staat in wenigen Wochen in den Bankrott getrieben hätte. Damit die griechische Regierung in die Knie geht und zustimmt, dass die Schulden bis zum letzten Cent bezahlt werden und vor allem, dass die einfache Bevölkerung weiter dafür bezahlen muss. Das hat sie am Freitag zum ersten Mal getan.

Für die Herrschenden in Europa ist das keine Frage des Geldes. Gerade erst hat die EZB den Banken 1.100 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Es wäre also ein Klacks für sie, dem griechischen Staat etwas von seinen 300 Milliarden Euro Schulden zu erlassen. Den Herrschenden aber geht es ums Prinzip: Nirgendwo in Europa soll die arbeitende Bevölkerung auch nur anfangen zu hoffen, dass die Zeit der Opfer vorbei sein könnte.

Für die griechische Bevölkerung hat der Kampf darum, dass sie nicht weiter verarmt, also erst begonnen. Und in diesen Kampf muss die arbeitende Bevölkerung sich selber einmischen. Das fängt mit den sozialen Maßnahmen an, die die Regierung Tsipras nach ihrer Wahl angekündigt hat. Denn auch das Geld für diese Maßnahmen muss man den Reichen, den Kapitalisten in Griechenland wegnehmen. Die aber, gewohnt, keine Steuern zu zahlen und zu tun was sie wollen, werden nichts freiwillig machen.
Die Regierung kann zwar die Erhöhung des Mindestlohns auf 750 Euro beschließen. Doch um zu verhindern, dass die Unternehmer nicht, wie bei uns, tausend Wege finden, um den Mindestlohn zu umgehen, müssen die Arbeiter sich selber organisieren und einmischen.

Nur so können die Arbeitenden sicherstellen, dass die versprochenen sozialen Maßnahmen umgesetzt werden. Dass der Mindestlohn gezahlt, die Renten erhöht und die vom Staat entlassenen Krankenpfleger, Putzkräfte, Lehrer und Hafenarbeiter wieder eingestellt werden.
Nur wenn die Arbeiter immer wieder massenhaft eingreifen, auf die Straße gehen, streiken, Druck ausüben – gegen die herrschende Klasse in Europa und gegen die reichen Schmarotzer im eigenen Land, können sie dafür sorgen, dass ihre Interessen nicht dem Druck der Kapitalisten geopfert werden.

In dieser Auseinandersetzung müssen die Arbeitenden Griechenlands auf unsere Solidarität zählen können. Wir dürfen uns nicht vor den Karren unserer Regierung spannen lassen, die uns einzureden versucht: Wir in Deutschland müssten bezahlen, wenn die griechische Bevölkerung sich nicht weiter opfert.

Im Gegenteil: Das, was die wahre Sorge der Regierung und der EZB ist – nämlich dass andere Bevölkerungen es den Griechen nachmachen – könnte unsere Hoffnung werden. Denn wenn die griechischen Arbeiter entschlossen versuchen, gegen die kapitalistische Profitgier ihre lebenswichtigen Forderungen durchzusetzen: Könnte dies nicht auch anderen Arbeitenden in Europa Mut geben, diesen Kampf zu beginnen?

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