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Nr. 32, Juni 2011 - Ihre Gesellschaft

Die Möglichkeiten der Medizin – und die Grenzen der Gesellschaft

Das aggressive EHEC-Bakterium hat schon 39 Tote gefordert. Einige der weit über 3000 Erkrankten werden lebenslange Folgeschäden davontragen. Allein 100 von ihnen hat es die Nieren zerstört.

Langsam scheinen die Ansteckungen zum Glück zurückzugehen, nachdem der Ursprung der Infektion wohl geklärt ist. Dennoch bleibt bei vielen noch die Verunsicherung, was man nun essen kann, welchen Entwarnungen und welchen Befunden man glauben kann. Kein Wunder. Wie oft wurde schließlich bei all den vielen Lebensmittelskandalen der letzten Jahre von Unternehmen und staatlicher Seite vertuscht, verzögert und gelogen!

Bei EHEC hatten sie gehofft, den schwarzen Peter dem Ausland zuschieben zu können: Der deutsche Bauernverband hatte sich wortwörtlich als „erleichtert“ erklärt, als „auslän-disches Gemüse“ aus Spanien in Verdacht geriet… bis sich dann eben doch herausstellte, dass die Erreger von einem deutschen Hof aus Niedersachsen stammten. Und zwar – allen Verfechtern der „gesunden Bio-Kost“ zum Trotz – von einem deutschen Biohof.

Wie man gefährliche Krankheiten immer besser bekämpfen kann

Lebensmittelkrankheiten wie EHEC hat es in der Geschichte der Menschheit schon immer gegeben. Durch die modernen Methoden der Landwirtschaft, durch wissenschaftliche Begleitung und Kontrollen sind sie bei uns in den vergangenen hundert Jahren massiv zurückgegangen. Doch selbstverständlich entstehen auch immer wieder neue, zum Beispiel durch die natürliche Mutation bereits bestehender Bakterien wie bei EHEC.

Was sich außerdem unglaublich verbessert hat, sind die medizinischen und gesellschaftlichen Möglichkeiten, auf solche (neuen) Krankheiten und unvorhergesehenen Situationen zu reagieren. Im Fall von EHEC gab es ein Informationssystem, durch das schnell und umfassend vor dem Verzehr von Gemüse gewarnt wurde, wodurch viele Ansteckungen verhindert werden konnten. Es gab die Infrastruktur für zahlreiche koordinierte Lebensmittelkontrollen, die den Ursprung des Erregers aufgespürt haben. Die Wissenschaftler haben in kürzester Zeit einen Test für EHEC entwickeln können. Und sie haben sogar innerhalb von vierzehn Tagen Therapien gefunden, um die schlimmsten Auswirkungen der Krankheit einzudämmen und die Entwicklung der Krankheit oft sogar aufzuhalten.

Diese Möglichkeiten der Wissenschaft, zusammen mit dem unermüdlichen Einsatz zahlreicher Krankenpfleger, Laborbeschäftigter und Ärzte sowie ausreichend Geräten für Dialyse und andere Behandlungen, haben vielen Menschen das Leben gerettet, beziehungsweise sie vor schlimmen, dauerhaften Schäden bewahrt. Ohne sie hätte EHEC ganz andere Ausmaße annehmen können.
Das Drama unserer heutigen Zeit aber besteht darin, dass ein Großteil der Menschheit zu diesen wissenschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Möglichkeiten keinen Zugang hat. In den armen Ländern stehen die Menschen selbst gut bekannten und einfach zu behandelnden Krankheiten schutzlos gegenüber.

Die Durchfallkrankheit Cholera tötet dort jedes Jahr 10.000 Menschen, obwohl sie mit bekannten Antibiotika einfach zu heilen ist. Und das gilt für viele Krankheiten, wie die Tuberkulose, die man ebenfalls heilen kann und die dennoch jedes Jahr ungefähr zwei Millionen Menschen das Leben kostet!

Diese riesige soziale Ungleichheit ist eine der mörderischsten Krankheiten auf der Welt. Sie zu beseitigen und damit allen Menschen die Errungenschaften von Wissenschaft und Technik zugänglich zu machen, ist eine der dringendsten Aufgaben, vor denen die Menschheit heute steht.

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