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Nr. 87, Juni 2016 - Internationales

Großbritannien: Die Interessen der Arbeitenden stehen nicht zur Wahl

In zwei Wochen wird in Großbritannien darüber abgestimmt, ob das Land Mitglied der Europäischen Union bleibt oder nicht. Es ist völlig offen, wie das Referendum ausgehen wird.

Die Spitzen der großen Banken, der EU-Staaten und nicht zuletzt die Spitzen der beiden größten Parteien in Großbritannien machen Wahlkampf dafür, in der EU zu bleiben. Sie alle machen sich Sorgen über die unvorhersehbaren Krisen, die ein Austritt Großbritanniens an der Börse auslösen könnte, vor allem da die Finanzmärkte ohnehin schon so instabil sind.
Dabei hat der britische konservative Premierminister Cameron diese Abstimmung selber ins Leben gerufen. Über Jahre nämlich hat die konservative Partei die EU als billige Ausrede für alle Probleme benutzt. Arbeitslosigkeit, sinkende Löhne, Sparpläne… an allem waren nicht die britischen Machthaber, sondern angeblich die EU schuld.

Gefangen in der eigenen Propaganda musste Cameron, um 2015 wiedergewählt zu werden, versprechen, eine Abstimmung über die EU-Mitgliedschaft zu organisieren. Cameron war überzeugt, dass er die Abstimmung gewinnen würde. Doch in seiner eigenen Partei sehen mehrere seiner Rivalen das Referendum als Gelegenheit, sich zu profilieren, indem sie für den Austritt Wahlkampf machen. Auch das britische Bürgertum ist gespalten.

Beide Seiten versuchen nun der arbeitenden Bevölkerung weis zu machen, bei der Abstimmung ginge es um ihre Interessen.

Die Befürworter des EU-Austritts, des „Brexit“ behaupten, durch den EU-Austritt könne der Staat 6 Milliarden Pfund sparen. Selbst wenn es stimmen sollte: Haben die Arbeitenden etwa jemals was von dem Geld gesehen, dass der Staat irgendwo einspart hat?
Sie behaupten außerdem, nach einem EU-Austritt müssten die britischen Unternehmen sich nicht mehr an die ganzen „bürokratischen EU-Regeln“ halten und wären dadurch konkurrenzfähiger. Zu diesen EU-Regeln gehören unter anderem eine tägliche Höchstarbeitszeit und das Recht auf bezahlten Urlaub. Beides wurde erst durch EU-Gesetze in Großbritannien eingeführt und könnte dann wieder abgeschafft werden. Länger arbeiten für weniger Geld – wirklich tolle Aussichten, die die Brexit-Befürworter den Arbeitern zu bieten haben!

Nur wenige Gewerkschaften und linke Organisationen machen Werbung für den Brexit. Sie versuchen es mit anderen Argumenten. Sie behaupten, ein britischer Staat wäre demokratischer und man könne so zum Beispiel verhindern, dass der Öffentliche Dienst weiter privatisiert werde, was die EU verlangen würde.
Als hätten die Arbeiter im britischen Staat 1920 oder 1960, als es noch keine EU gab, mehr zu sagen gehabt! Ein „rein britischer“ Staat wäre genauso ein Staat der Kapitalisten. Und er würde genauso privatisieren, damit die britischen Kapitalisten an den Krankenhäusern, Bahnlinien und den Stromnetzen verdienen können.

Die Argumente der Brexit-Gegner sind nicht besser. Sie behaupten, der Brexit würde einen Einbruch der britischen Wirtschaft zur Folge haben und drohen den Arbeitern mit der völlig aus der Luft gegriffenen Zahl von 3 Millionen Arbeitsplätzen, die der Brexit kosten würde.

Egal, wie also das Referendum ausgeht, die Arbeiter haben in ihm nichts zu gewinnen, im Gegenteil. In beiden Fällen wird das Wahlergebnis der Vorwand für die nächsten Angriffe auf die Arbeitenden werden.

Tritt Großbritannien aus der EU aus, dann werden die vermeintlichen „Schwierigkeiten der Wirtschaft durch den EU-Austritt“ der Vorwand für die nächsten Entlassungen und Lohnkürzungen der Konzerne und die Sparpläne der Regierung sein.
Tritt Großbritannien nicht aus, so wird die Regierung die nächsten Sparpläne mit den „hohen Kosten der EU“ und die nächsten Privatisierungen mit den „Vorgaben aus Brüssel“ rechtfertigen. Und die Konzerne werden ihre Entlassungen damit begründen, wegen der „Bürokratie in Brüssel“ nicht konkurrenzfähig zu sein.

Die Arbeiter haben daher bei dem Referendum nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Sie können zwischen zwei Instrumenten wählen – der EU oder dem britischen Nationalstaat – die beide nur dafür entstanden sind, die Interessen der Kapitalisten durchzusetzen. Von beiden Instrumenten haben die Arbeitenden nichts anderes zu erwarten als weitere Angriffe und Unterdrückung.
Und daran wird sich nur etwas ändern, wenn die Arbeiterklasse sich weg von solchen Sackgassen und hin zu den entscheidenden Fragen wendet: Wie sie gegen die kapitalistische Klasse ihre Interessen erkämpfen kann – in Großbritannien, in Europa und weltweit.

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