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Nr. 33, Juli 2011 - Ihre Gesellschaft

Für wen ist heute die Schule da?

Seit Monaten streitet die SPD-Grünen-Landesregierung in NRW mit der CDU um die Einführung einer sogenannten Gemeinschaftsschule. Vor allem dort, wo Haupt- oder Realschulen nur wenige Schüler haben, sollen die Städte an ihrer Stelle eine Gemeinschaftsschule gründen können: An dieser sollen die Kinder zumindest zwei Jahre länger zusammen lernen, bevor sie frühestens in der 7.Klasse in Haupt-, Real- und Gymnasialzweig getrennt werden. Außerdem sollen hier alle Schulabschlüsse bis zum Abitur möglich sein.

Die CDU ist gegen die Gemeinschaftsschule. Sicher, es ist ziemlich wahrscheinlich, dass die Zusammenlegung der Haupt- und Realschulen insbesondere dazu genutzt werden wird, um Geld und Lehrerstellen zu sparen. Doch das ist es nicht, was die CDU stört. Im Gegenteil, auch sie will hier sparen. Doch sie und ihre konservativen Wähler wollen, dass das Abitur dabei gefälligst das Privileg der Gymnasien ist und bleibt. Und dass man die Kinder spätestens im Alter von 10 Jahren dafür aussortiert!

Sie setzen damit die Tradition derjenigen fort, die ein solches Schulsystem mit „höheren Schulen“ und „Volks-schulen“ vor über 100 Jahren eingeführt haben. Die „höheren Schulen“ mit ihrer langen, umfangreichen Bildung waren für alle Bessergestellten und eine kleine Minderheit der Arbeiterkinder da. Die große Mehrheit der Arbeiterkinder hingegen musste die Volksschulen besuchen, wo ihnen wirklich nur das Nötigste beigebracht wurde, um ihren Beruf erlenen und ausüben zu können.

Die herrschende Klasse, das Bürgertum und ihre Politiker, erklärte damals recht offen, dass sie nicht mehr Geld als nötig für die Ausbildung der Arbeiterkinder „verschwenden“ wolle. Dieses Geld war ihrer Meinung nach besser auf den Konten der Kapitalisten aufgehoben.
Außerdem wollten sie die Illusion aufrecht erhalten, dass nur das Bürgertum genug „Wissen“, „Bildung“ und „Leistungsfähigkeit“ besitze, um die Fabriken, die Politik, die Gesellschaft zu leiten. Sie wollten nicht, dass die Arbeiter genug Selbstvertrauen bekämen, um sich in Wirtschaft und Politik einzumischen und vielleicht zu merken, dass sie viel sinnvollere und bessere Entscheidungen für die Allgemeinheit treffen würden als die Kapitalisten.

Heute sind sie nicht mehr so ehrlich. Doch an dem Prinzip hat sich nichts geändert. Auch heute entscheidet zum großen Teil die soziale Herkunft eines Kindes darüber, auf welche Schulform es kommt und damit welche Schul- und Universitätsabschlüsse und welche Berufe es machen kann. Auch heute steht nur einem kleinen Teil der Kinder von Maurern, Arzthelferinnen oder Lagerarbeitern das Gymnasium und gar die Universität offen.

Dabei sind gerade die Kinder auf die Schule angewiesen, deren Eltern eben nicht die Zeit, das Wissen und das Geld haben, um ihre Kinder außerhalb der Schule selber zu fördern, um ihnen Reisen, Kultur und Wissenschaft zu ermöglichen. Gerade ihnen müsste die Schule eine umfassende, möglichst lange und intensive Bildung und Förderung bieten.

Doch diese Gesellschaft ist nicht bereit, dafür entsprechend mehr Geld und Lehrer in die Schulen zu stecken. Und die jüngste Diskussion erinnert auch daran, dass keine der großen Parteien daran grundsätzlich etwas ändern will. In dieser Gesellschaft sollen die Arbeiter zwar die Universitäten bauen, ihre Flure putzen, sollen Bücher drucken, die Leitungen in Museen verlegen, sollen das Essen für Forscher und Lehrer herstellen. Doch der Zugang zu großen Teilen von Kultur und Wissen soll den Kindern der bürgerlichen Schichten vorbehalten bleiben.

Auf diese Weise sorgt die Schule dafür, dass die Kinder der Reichen die neuen Firmenchefs, die Kinder der Doktoren, Rechtsanwälte und Ärzte die neuen Abteilungsleiter und Politiker werden, und die Kinder der Arbeiter die neuen Arbeiter. Und daran wird sich in dieser Gesellschaft auch nichts ändern. Die Schule im Kapitalismus ist ein Abbild dieser ungerechten Klassengesellschaft und sie trägt dazu bei, dieses System weiterzuführen und zu rechtfertigen.

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