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Nr. 69, November 2014 - Ihre Gesellschaft

25 Jahre nach dem Fall der Mauer: 25 Jahre der enttäuschten Hoffnungen

Wer es miterlebt hat, der erinnert sich noch an das Erstaunen, die Begeisterung, die Welle von Hoffnung, die der Fall der Mauer vor 25 Jahren ausgelöst hat – eine Mauer, die so fest und ewig schien wie das ganze Regime der DDR, und die plötzlich nur noch ein harmloser Haufen Steine war.
Vielen schien der Fall der Mauer das Symbol für den Beginn einer neuen Zeit zu sein: Freiheit statt Stacheldraht und Grenzposten; Frieden statt Kalter Krieg; Demokratie statt Angst und Unterdrückung… weltweit. 25 Jahre später kann man sich das kaum noch vorstellen – so wenig haben sich diese Hoffnungen erfüllt.

Der Fall der Mauer war der Anfang vom Ende des DDR-Regimes; das Ende der Diktatur der Partei. Doch war das, was danach kam, etwa keine Diktatur?
An die Stelle der Parteibonzen sind Konzernchefs getreten, die nun über das Leben der Menschen entscheiden – Konzernchefs, die niemand gewählt hat und niemand kontrollieren kann. Und die 500km entfernt an einem Schreibtisch einfach entschieden, die DDR-Betriebe auszuschlachten, zu schließen und alle Beschäftigten zu entlassen.

Über eine Million Arbeitende der DDR sind so innerhalb von wenigen Jahren in die Arbeitslosigkeit geschleudert worden. Eine Arbeitslosigkeit, die bis heute Leben und Klima in Ostdeutschland beherrscht. Eine Arbeitslosigkeit, die viele demokratische Rechte ausgehöhlt hat. Denn kann man es Meinungsfreiheit nennen, wenn sich bei der extrem hohen Arbeitslosigkeit jeder gut überlegen muss, ob er auf der Arbeit den Mund aufmacht… weil er damit vielleicht seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt?

Kann man es Reise-„Freiheit“ nennen, wenn sie sich für viele in den Zwang verwandelte, aus Ostdeutschland auszureisen, um irgendwo anders Arbeit zu finden? Oder wenn man sich Urlaube im Ausland einfach nicht leisten kann – genau wie viele andere Waren, die es jetzt zwar im Überfluss gibt, aber ohne das Geld dazu.
In den 25 Jahren hat sich diese Lage kaum verändert. Wie auch? Die Arbeitenden in Ostdeutschland sind in eine kapitalistische Wirtschaft geraten, die weltweit tief in der Krise steckt. In der die Konzerne und ihre Staaten nirgendwo mehr großartig etwas aufbauen und entwickeln, sondern nur noch an die kurzfristigen Profite denken. Profite, für die sie aus den bestehenden Betrieben und den Arbeitenden alles herauspressen, was sie können. Und für die man die öffentlichen Kassen plündert, sodass für andere Dinge dann „kein Geld“ mehr da ist.

Ja, was haben die westlichen Politiker über die Schlaglöcher und maroden Gebäude der DDR die Nase gerümpft! Und wie symbolisch ist es für den Zustand ihrer Wirtschaft, dass heute manche Straßen und Schulgebäude zum Beispiel im Ruhrgebiet gut in die

späten Jahre der DDR gepasst hätten.

Welch ein Symbol ist es erst, dass die kapitalistische Gesellschaft in den letzten 25 Jahren keine andere Antwort auf ihre Krise gefunden hat, als selber neue Mauern zu bauen!
Für die eine Grenzmauer, die 1989 eingerissen wurde, sind dutzende andere entstanden – unüberwindlicher und mörderischer. Man denke nur an die Außengrenzen der EU: Jede Woche (!) sterben bei dem Versuch, die Grenze des Mittelmeers zu überwinden und in die EU zu flüchten, mehr Flüchtlinge, als in 40 Jahren DDR zusammen.

Und wie viele neue Grenzen sind entstanden, die die Völker in Europa zerschneiden und gegeneinanderstellen: in Jugoslawien, in der Ukraine… Wie viele rückschrittliche politische Kräfte sind stärker geworden, die noch höhere Mauern und noch mehr Grenzen fordern, die gar einzelne Landstriche wie Flandern in Belgien oder Katalonien in Spanien abtrennen oder die EU auflösen wollen.

Ganz zu schweigen davon, dass der Kapitalismus in seiner Krise einen Krieg nach dem anderen hervorbringt, von der Ukraine bis nach Afghanistan, ja ganze Kontinente in einen dauerhaften Kriegszustand versinken lässt.

Das ist die Bilanz von 25 Jahren Kapitalismus – eine Bilanz, die sie selbst mit den schönen, nostalgischen Bildern des Mauerfalls und den großen Worten von „westlicher Freiheit und Demokratie“ nicht mehr verschleiern können.

Denn wenn der Kapitalismus im letzten Vierteljahrhundert eines offen vor Augen geführt hat, dann dass auch er ein Fossil ist, das der Menschheit keinerlei Zukunft mehr zu bieten hat.
Und wie jedes Regime, das marode und perspektivlos ist, wird es zwangsläufig gestürzt werden… selbst wenn es noch so ewig und unveränderbar scheint. Und das ist vielleicht die wichtigste Lehre aus 1989.

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