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Nr. 92, Dezember 2016 - Internationales

Die Zerstörung von Aleppo und die Barbarei der kapitalistischen Welt

Aleppo ist ein einziges Grauen. Seit Monaten sind die Menschen in dieser Großstadt eingesperrt, zum Teil ohne Essen. Sie konnten nicht fliehen, während die russische Luftwaffe ununterbrochen Bomben auf ihre Häuser warf, selbst Krankenhäuser gezielt zerstörte und die syrische Armee Straße für Straße eroberte. Unzählige Opfer sind unter den Trümmern begraben, während die Lebenden, gezeichnet von Hunger und Krankheit, auch nach der Eroberung der Stadt nicht wissen, wie es weitergeht.

Die westlichen Großmächte machen vor allem Russland für den Schrecken in Aleppo verantwortlich. Und es stimmt, Russlands Rolle in diesem Drama ist einfach nur empörend. Doch Obama, Merkel oder Hollande sind wohl am wenigsten in der Position, sich darüber zu empören und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verurteilen. Schließlich tragen die westlichen Großmächte eine erdrückende Verantwortung für die Entwicklung, die zu der heutigen Lage in Syrien geführt hat.

Es ist noch gar nicht lange her, da haben die westlichen Machthaber alle selber Assads brutale Diktatur unterstützt. 2011 aber, während des „arabi-schen Frühlings“, haben sie ihn fallenlassen. Sie haben stattdessen seine Gegner unterstützt, darunter islamistische Banden, die genauso barbarisch sind wie das Assad-Regime. Drei Jahre später, nachdem diese Politik den Islamisten ermöglicht hat, in Syrien und dem Irak große Gebiete zu erobern und Chaos und Terror zu säen, haben die Großmächte ihre Politik wieder um 180 Grad gedreht. Jetzt möchten sie diese Banden wieder loswerden.

Sie kritisieren zwar das Vorgehen von Assad und Putin, doch im Grunde lassen sie diese die Drecksarbeit machen – während sie selber in anderen Teilen Syriens und des Iraks denselben grausamen Krieg gegen die Islamisten führen, so wie in Mossul, das heute von schrecklichen Kämpfen verwüstet wird.

Ja, in der irakischen Stadt Mossul findet seit zwei Monaten ein Kampf statt, der dem von Aleppo kaum nachsteht. Die Stadt ist von den irakischen Regierungstruppen eingekreist, die Luftwaffe der USA flog anfangs alle 8 Minuten Luftangriffe, bombardierte Krankenhäuser und Wohnblocks. Die Wasser- und Lebensmittelversorgung ist zusammengebrochen. Die Zivilbevölkerung versucht zu überleben, während die Verbündeten der USA Straße für Straße von den Islamisten zurückerobern. Doch dieser Krieg wird nicht von Russland, sondern von den USA und ihren Verbündeten geführt. Und daher ist von seiner Grausamkeit in den Medien kaum etwas zu hören.
Allein in Syrien hat der Krieg in den letzten fünf Jahren 400.000 Tote gefordert, hat 12 Millionen in die Flucht getrieben, von denen 4 Millionen ins Ausland geflohen sind.
Die Regierungschefs der Westmächte vergießen heute Krokodilstränen über das Los der syrischen Zivilbevölkerung. Doch wenn es einigen von ihnen gelingt, in den Westen zu fliehen, dann prallen sie auf Stacheldraht, den die Festung Europa oder die Türkei mit europäischem Geld errichtet hat. Wie oft wird für sie dann das Mittelmeer zum Friedhof, wie noch letzte Woche, als 730 Flüchtlinge kenterten, darunter mehrere Flüchtlinge aus Aleppo!

Und wie lange werden die Regierungen der EU wohl warten, bis sie die ersten syrischen Flüchtlinge wieder zurückschicken, weil es in Syrien jetzt „sichere Regionen ohne Krieg“ gäbe – so, wie sie es heute mit den afghanischen Flüchtlingen machen?

Noch nie haben die Interessen der Völker die Politik der westlichen Großmächte bestimmt; ihre Politik bestimmt die Habgier. Der Nahe Osten und sein Erdöl haben schon immer ihre Begierde geweckt. Während des Ersten Weltkrieges haben sich Franzosen und Briten das osmanische Reich aufgeteilt. Syrien wurde von Frankreich besetzt. Seitdem sind die Länder dieser Region zwar offiziell unabhängig geworden, doch die Westmächte plündern sie weiter aus, um den Preis schrecklicher Kriege. Und auch heute machen deutsche Waffenhändler und westliche Baukonzerne ihren Reibach mit der Zerstörung Syriens.

Mit der Eroberung Aleppos ist der Krieg in Syrien nicht beendet. In diesen Krieg sind bereits der Iran verwickelt, die Golfstaaten, die westlichen Staaten, Russland und das türkische Regime, im Krieg mit seiner kurdischen Minderheit. Auch die Terroranschläge in Europa sind eine Auswirkung dieses Krieges auf der anderen Seite des Mittelmeers. Und die Geschichte des 20. Jahrhunderts erinnert uns daran, dass ein scheinbar entfernter und zweitrangiger Konflikt in einen weltweiten Krieg münden kann.

Der Kapitalismus bedeutet zunächst die Ausbeutung der Arbeiter, die niedrigen Löhne und die ständige Gefahr der Arbeitslosigkeit. Allein das rechtfertigt schon, ihm ein Ende zu setzen. Doch obendrein droht dieses verrückte System, das auf der brutalen Konkurrenz der Firmen und Staaten untereinander beruht, immer wieder, die gesamte Menschheit in den Krieg zu führen.

Uns vom Kapitalismus zu befreien, den Konzernen ihre Herrschaft über die ganze Wirtschaft wegzunehmen, ist lebensnotwendig. Lebensnotwendig, um die Ungleichheit und Ausbeutung der Arbeitenden zu beenden. Und lebensnotwendig, um den Kriegen ein Ende zu setzen, die von der Habgier der großen Firmen und Großmächte hervorgerufen werden. Ansonsten werden wir früher oder später das nächste Aleppo und Mossul erleben – auch vor unserer Haustür.

(nach einem Artikel unserer französischen Genossen von Lutte Ouvrière, 12.12.2016)

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