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Nr. 70, Dezember 2014 - Internationales

USA: Eine Welle der Empörung gegen ein rassistisches System

Eine Welle von Protesten ist in den vergangenen Wochen durch die USA gegangen. In über 260 Städten gingen sie zu Tausenden auf die Straße, empört und schockiert darüber, dass erst in Ferguson und dann in New York weiße Polizisten gar nicht erst vor Gericht gestellt werden, obwohl sie offensichtlich unbewaffnete und wehrlose schwarze Männer getötet haben.

Dabei hatte das ganze Land auf der Videoaufzeichnung sehen können, dass diese Polizisten in New York den 44jährigen sechsfachen Familienvater Eric Gardner nur dafür, dass er auf der Straße Zigaretten verkaufte, brutal verhafteten – so brutal, dass er in ihrem Würgegriff erstickte.
Seine letzten Worte „Ich kann nicht atmen“ sind zum Ruf des Protests geworden gegen die systematische rassistische Polizeigewalt und die ebenso rassistischen Gerichte, die die Polizei dabei schützen und unterstützen.

Über 400 Menschen werden jedes Jahr von der amerikanischen Polizei getötet. Das Risiko eines jungen Schwarzen, von einem Polizisten getötet zu werden, ist dabei 21 Mal so hoch wie das eines Weißen. Manchmal reicht es aus, zur falschen Zeit über die Straße zu gehen. Wie der 18jährige unbewaffnete Michael Brown in Ferguson, der von der Polizei angegangen wurde, weil er nicht auf dem Fußgängerweg lief… und dann von sechs Polizeikugeln erschossen wurde. Ja, das Leben eines schwarzen jungen Mannes zählt in den USA nicht viel.

Viele hatten die Hoffnung gehabt, dass sich mit Obama als erstem schwarzen Präsidenten zumindest an diesem täglichen, staatlichen Rassismus etwas ändern würde. Doch Obamas erste Reaktion in Ferguson bestand darin, die Einstellung des Verfahrens gegen den Polizisten zu rechtfertigen und die Bevölkerung aufzurufen, diese Entscheidung zu respektieren und Ruhe zu bewahren. Sein erster Reflex bestand also darin, sich hinter den Polizeiapparat zu stellen.
Erst als die Demonstrationen nicht aufhörten, sondern das ganze Land ergriffen, waren führende Politiker gezwungen zu reagieren. So hat Obama vorgeschlagen, jeden Polizisten mit einer Kamera auszustatten. Doch das ist nicht viel mehr als ein Ablenkungsmanöver.
Denn viele Polizeimorde an jungen Schwarzen werden heute schon längst von Überwachungskameras aufgenommen, so wie der Mord an Eric Gardners in New York. Doch was nutzt eine Videoaufnahme, wenn die Polizisten dann trotzdem einfach nicht angeklagt werden?
Keine Kamera kann diese Frage lösen, weil es keine Frage von Beweismitteln ist, sondern eine grundlegende soziale und politische Frage. Was sich in dem Verhalten der Polizei, der Justiz und der Politik ausdrückt, ist der tief verwurzelte Rassismus der amerikanischen Staatsgewalt gegen Schwarze und ihre Verachtung für die Armen.

Die Schwarzen sind in den USA schon immer der am meisten ausgebeutete, unterdrückte, ärmste Teil der arbeitenden Bevölkerung gewesen. Bis 1865 waren sie in Teilen der USA noch rechtlose Sklaven, anschließend noch hundert Jahre lang Menschen zweiter Klasse mit Rassegesetzen, die ihnen verboten, dieselben Schulen, Busse oder Parkbänke wie Weiße zu benutzen. Selbst das Recht zu wählen und ungehinderten Zugang zum öffentlichen Schulsystem, mussten sich die Schwarzen in den 1960er Jahren in gewaltigen Aufständen erkämpfen.

Seitdem konnte zwar eine Minderheit der Schwarzen sozial aufsteigen, konnte Anwalt, Professor und nun sogar Präsident werden. Doch das ändert nichts daran, dass die große Mehrheit der Schwarzen noch immer den ärmsten Teil der Arbeiterklasse bilden – der Teil, der auch von der heutigen Krise am stärksten getroffen wird.

Der Kapitalismus lebt von solchen Ungleichheiten und davon, diese Ungleichheiten bewusst zu fördern und auszunutzen. In den USA haben sich die Herrschenden daher zu allen Zeiten auf den Rassismus gegen Schwarze gestützt und ihn gefördert, um die arbeitende Bevölkerung zu spalten, getreu der Devise „teile und herrsche“.

Und je härter die Krise und mit ihr die Ungleichheiten werden, desto mehr brauchen die Herrschenden dieses Gift der Spaltung. Und desto mehr brauchen sie auch die Polizei und deren Gewalt, um die Opfer ihres unfairen Systems in Schach zu halten.

Als amerikanischer Präsident verteidigt Obama diese soziale Ordnung mit all ihrer Ungleichheit und Unterdrückung – egal welche Hautfarbe er selber hat. Und er verteidigt damit auch die staatlichen Gewalten, die das Rückgrat dieser Ordnung bilden, egal wie offen und tiefgreifend deren Rassismus ist. Von ihm hat die Bevölkerung daher keine ernsthaften Maßnahmen gegen die rassistische Gewalt der staatlichen Einrichtungen zu erwarten.

Wer jedoch etwas verändern kann, das sind all diejenigen, die heute auf die Straße gehen und sich die Zustände nicht länger gefallen lassen wollen.
Mit hartnäckigen und massiven Protesten können sie eine Stimmung schaffen, in der sich die Polizei nicht mehr traut, ganz frei und nach Belieben zu morden.

Und ihre Empörung birgt auch die Kraft, irgendwann zum Ausgangspunkt für größere Kämpfe zu werden, die das ganze System der sozialen und rassistischen Ungleichheit und ihre Ursachen in Frage stellen.

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