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Nr. 160, Dezember 2022 - Leitartikel

Rechtsradikalismus: Die Gefahr lauert im Inneren von Armee und Polizei

Nach Jahrzehnten, wo dies besonders in Deutschland undenkbar schien, haben rechtsradikale Gruppierungen in den letzten Jahren deutlich gemacht, dass sie ihre verbrecherischen Ansichten mit Terror und Gewalt durchsetzen wollen. Einige haben tödliche Anschläge auf eine Synagoge oder muslimische Familien verübt, andere haben Politiker mit Stich- oder Schusswaffen verletzt oder ermordet. Und immer häufiger hört man von geheimen rechtsradikalen Gruppierungen innerhalb von Polizei und Militär.
Nun erfährt man, dass rund 200 rechtsradikale Reichsbürger der „Patriotischen Union“ nichts weniger als einen Putsch geplant haben. Sie wollten eine Diktatur errichten und hatten angefangen, Waffen zu horten, militärische Strukturen aufzubauen und Listen zu erstellen, wer als erstes umgebracht werden soll.
 
Zu ihnen gehören Unternehmer, Adelige, AfD-Politiker, Richter, aktive und ehemalige hochrangige Bundeswehr-Offiziere und Polizisten. Sie zählen sich also zur "Elite", kommen aus dem Inneren des Staats-Apparates. Und was das Gefährliche ist: Sie sind dort eben kein „Einzelfall“.
 
Vor zwei Jahren musste sogar eine ganze Einheit mit 400 KSK-Soldaten aufgelöst werden, weil diese nicht mehr nur offen ihre Bewunderung für Hitler und die Nazis gezeigt, sondern Waffen und Sprengstoff der Bundeswehr für rechtsradikale Anschläge beiseite geschafft hatten. Diese Soldaten wurden allerdings nur auf andere Einheiten verteilt: Sie sind weiter in der Bundeswehr aktiv.
Im Moment wird das Militär mit 100 Milliarden Euro hochgerüstet, angeblich um „unsere Demokratie und Freiheit“ zu verteidigen. Will man uns weismachen, dass solche Truppen von Berufssoldaten dies tun sollen?
 
Und was ist mit den Polizisten, die sich an den NSU 2.0-Morddrohungen beteiligt oder im Dienst willkürlich Migranten verprügelt haben? Auch diese Polizisten sind fast alle weiter im Dienst.
Auch wenn solche Kräfte den regierenden Parteien Probleme bereiten: Trotz aller gegenteiligen Versprechungen kann und will die herrschende Klasse die Rechtsextremen in ihrem Staatsapparat nicht loswerden. Letztlich brauchen sie sie sogar.
Denn die Aufgabe von Polizei, Justiz und Armee ist, die herrschende Gesellschaftsordnung samt ihren Gesetzen zu verteidigen. Diese Ordnung jedoch beruht grundlegend auf sozialer Ungleichheit, Gewalt gegen Ärmere und letztlich dem Recht der Kapitalisten, ihre Interessen durchzusetzen.
 
Am Ende besteht ihre Aufgabe darin, den Reichtum der Lebensmittelkonzerne zu beschützen und dafür kleine Ladendiebe zu verfolgen. Sie besteht darin, das Recht der Konzerne zu verteidigen, inklusive ihrem Recht, Arbeitsplätze oder die Umwelt zu zerstören – und dafür notfalls Arbeitende, die ihre Fabrik besetzen oder Umweltschützer, die einen Wald besetzen, mit Gewalt zu vertreiben.
Und wenn wie heute die Zeiten härter werden, dann gehen sie auch härter vor, nehmen immer weniger Rücksicht auf demokratische Rechte. Dafür brauchen die Herrschenden Polizisten und Justiz-Beamte, die diese Vorstellung von „Recht und Ordnung“ nicht hinterfragen.
 
Und sie brauchen Soldaten, die nicht hinterfragen, ob sie nicht vielleicht nur deshalb Familien im Irak oder in Mali in die Luft sprengen sollen, weil Konzerne sich für die Rohstoffe in dem Land interessieren. Für die Herrschenden ist es lebenswichtig, dass die Soldaten bedingungslos diese Ordnung verteidigen und bereit sind, dafür notfalls auch zu sterben. Sie müssen sich hundertprozentig auf die Armee verlassen können.
 
Und wenn es wirklich drauf ankommt, wären die Herrschenden und die Rechtsextremen in den entscheidenden Fragen nicht unterschiedlicher Meinung. Deren Ideologie, mit ihrer Verachtung für andere Völker, ihrer Begeisterung für soldatischen Gehorsam, ihrer Verachtung für Arbeiter und Arbeitslose und ihrer Verehrung des kapitalistischen „Recht des Stärkeren“, macht sie für die Herrschenden im Notfall sogar zu sehr guten Verteidigern ihrer kapitalistischen Ordnung. Deshalb hatten die Regierenden auch kein Problem damit, dass ehemalige Nazi-Generäle und -Richter nach 1945 die Polizei, Justiz und Armee der „freiheitlich-demokratischen“ Bundesrepublik aufbauten.
 
Heute sind Rechtsradikale im Staatsapparat noch eher die Ausnahme. Noch kann die Regierung einzelne verhaften lassen. Und die Vorstellungen und Pläne von solchen rechtsradikalen Reichsbürgern wirken teilweise so absurd und fern der Realität, dass man sie nicht wirklich ernst nimmt.
Doch auch Hitlers Ideologie klang für die meisten anfangs lächerlich, und sein Putsch-Versuch 1923 scheiterte kläglich. Zehn Jahre und eine Weltwirtschaftskrise später lachte keiner mehr.
 
Denn in ernsthaften wirtschaftlichen Krisenzeiten können sich die rechtsradikalen Monster sehr schnell verselbstständigen – wenn die kapitalistische Klasse sie nicht sogar (wie damals) selber an die Macht holt: Weil sie in großen Krisen die Arbeiterklasse in Armut und Krieg treiben, um weiter Profite zu machen – und in einer harten Diktatur ohne Meinungsfreiheit und Streikrecht, in Einschüchterung und Terror die einzige Chance sehen, dies der Bevölkerung aufzwingen zu können.
 
Die Herrschenden gehen davon aus, dass ihr System in den kommenden Jahren in eine größere, tiefe Krise schlittern kann. Ihre Reden von einer „Zeitenwende“, von Zeiten „großer Entbehrungen“ und vielleicht sogar Kriegen, zeugen davon. In ihrem Staatsapparat bereiten sie sich darauf vor, und einige zielen schon jetzt darauf ab, uns dies mit diktatorischer Gewalt aufzuzwingen.
 
Es wird dringend Zeit, dass wir uns auf der anderen Seite ebenfalls vorbereiten.

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