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Nr. 65, Juni 2014 - Leitartikel

Wie es nach dem Sturm weitergeht - und weitergehen könnte

Nach dem Sturm, der Pfingstmontag 6 Menschen getötet und das Ruhrgebiet verwüstet hat, kehrt langsam wieder so was wie Normalität ein. Dass dies so schnell möglich war, ist auch der spontanen Hilfe vieler Nachbarn und zum Teil Fremder zu verdanken, die sich zusammentaten, um Äste von den Straßen zu räumen, Wohnungen trocken zu legen, kleinere Bäume zu zerlegen.

Und vor allem ist es den Arbeitenden des Öffentlichen Dienstes zu verdanken. Die Arbeiter von Feuerwehr, THW und Landschaftsbetrieben, die Monteure der öffentlichen Verkehrsbetriebe, sie alle haben Tag und Nacht bis zur Erschöpfung gearbeitet, so dass schon nach 2-3 Tagen fast alle Straßen sowie der Nahverkehr benutzbar und die größten Gefahren beseitigt waren.

All das ist ihnen gelungen, obwohl sie überall mit fehlendem Personal und fehlender Ausrüstung zu kämpfen hatten. Ja, wenn der Sturm eines ganz deutlich gemacht hat, dann wie lebenswichtig diese öffentlichen Dienste sind! Und wie kriminell es werden kann, wenn die Regierungen hier immer weiter sparen: wenn noch mehr Feuerwehrwachen schließen, noch weniger Grünpfleger den Zustand der Bäume kontrollieren, noch weniger Arbeiter Züge und Gleise reparieren….

Der Sturm hat auch vor Augen geführt, wie viel besser diese Öffentlichen Dienste – trotz aller Einsparungen – im Vergleich zu den Bereichen funktionieren, die privaten Firmen überlassen sind. Während die Deutsche Bahn sich trotz Personal- und Materialmangel bemühte, allen kostenlos eine Weiterfahrt mit Taxis oder Bussen zu ermöglichen, hieß es für die Fahrgäste mancher privatisierter Bahnlinien einfach „Wir fahren derzeit nicht. Bitte wenden Sie sich in allen Fragen an die Deutsche Bahn.“ Andere, wie Abellio, waren gar nicht zu erreichen. Und was die Taxigesellschaften angeht, so nahmen diese Fahrgäste mit DB-Gutscheinen nur dann, wenn sie gerade keine noch profitableren Fahrten in Aussicht hatten. Egal, dass dadurch die Fahrgäste an den Hauptbahnhöfen drei bis vier Stunden warten mussten!

Wie sollte es auch anders sein? In der kapitalistischen Wirtschaft steht jeder Betrieb in Konkurrenz und lebt davon, eben nicht an andere zu denken, sondern nur an seine Interessen. In dieser Logik sind auch Naturkatastrophen nur eine „neue wirtschaftliche Lage“, durch die man als Firma bloß kein Geld verlieren, sondern am liebsten noch Profit machen möchte, wie heute Baumärkte oder Handwerksbetriebe. In einer solchen Logik können Verantwortung für die Gemeinschaft oder Hilfsbereitschaft keinen Platz haben.

Und diese kapitalistische Logik wird viele in der arbeitenden Bevölkerung vor allem jetzt, wo der Sturm vorbei ist, mit voller Wucht treffen. Denn für sie beginnt nun der Kampf mit ihren Versicherungen oder ihren Vermietern, den Immobilienfirmen, die alles versuchen werden, um die Schäden wenig oder gar nicht zu erstatten.

Wie viele – insbesondere der Ärmsten – werden am Ende ohne Reparaturen in ihrer beschädigten oder vor Nässe schimmelnden Wohnung sitzen! Wie viele werden nur wenig oder gar nichts für zerquetsche Autos und beschädigte Häuser erhalten! Für wie viele wird die Gier dieser Versicherungs- und Miethaie eine größere Katastrophe sein als der Sturm selber!
Der Staat hätte die Mittel, in einer solchen Situation gegen den Indvididualismus und Egoismus der Privatbetriebe vorzugehen. Er hätte in der Woche nach dem Sturm die Bus- und Autovermietungen sowie Taxigesellschaften verpflichten können, gegen eine geringe Aufwandsentschädigung Fahrzeuge und Fahrer zur Verfügung zu stellen. Damit hätte die Bahn all die ausgefallenen Züge kostengünstig und ohne stundenlange Warteschlangen ersetzen können.

Und um nicht jeden Geschädigten in der ungleichen Auseinandersetzung mit den Versicherungen und Vermietern allein zu lassen, könnte er heute Beratungsstellen einrichten, die sich um eine schnelle Schadensregelung im Sinne der Opfer kümmern. Auch könnte er alle Schadensmeldungen zentral sammeln und organisieren, dass die Handwerksbetriebe diese nach Dringlichkeit und zu angemessenen Preisen abarbeiten.

Nicht zuletzt könnte der Staat problemlos dafür sorgen, dass die Autovermietungen denen, deren Auto zerstört wurde, übergangsweise Autos zum Selbstkostenpreis zur Verfügung stellen. Und sicherstellen, dass die Autohändler ihnen den Neukauf eines Autos zu gemäßigten Preisen und mit zinslosen Raten ermöglichen.

All dies würde die vielen Sorgen und finanziellen Probleme bedeutend verringern, mit denen heute vor allem die Geschädigten aus der arbeitenden Bevölkerung konfrontiert sind – alle diejenigen nämlich, die kein Geld für Rundum-Versicherungen, teure Autos und Handwerkerrechnungen haben.
Doch dafür dürfte der Staat sich nicht darauf beschränken, mit öffentlichen Mitteln gegen die Sturmfolgen vorzugehen. Er müsste darüber hinaus das Recht der privaten Firmen antasten, an den Katastrophen zu verdienen und sie stattdessen dazu verpflichten, auch ihre Mittel in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen. Gerade dazu aber ist der heutige Staat nicht bereit.

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