Startseite > Das Rote Tuch > 150 > Strom- und Gaspreise: Wir bezahlen ihre parasitäre Wirtschaftsordnung!

Nr. 150, Januar 2022 - Leitartikel

Strom- und Gaspreise: Wir bezahlen ihre parasitäre Wirtschaftsordnung!

Hunderttausende Haushalte haben in den letzten Wochen erfahren, dass ihre Strom- oder Gasanbieter kurzfristig den Betrieb eingestellt haben und sie sofort zu einem anderen Anbieter wechseln müssen. Nun müssen sie als Neukunden fast überall doppelt so hohe Preise bezahlen wie vorher. Hunderttausende Menschen müssen damit bis zu 1.500 Euro mehr im Jahr bezahlen. Für viele eine Katastrophe! Und in den nächsten Monaten könnte dieses Los noch viele weitere Menschen treffen. Schuld daran sind die verrückten Preis-Explosionen der letzten Monate und vor allem die Privatisierung der Energieversorgung.

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Energieversorgung als einheitliches System wieder aufgebaut. Kraftwerke, Leitungen und Kundenbetreuung waren in öffentlicher Hand und halbwegs aufeinander abgestimmt. Zwischen 1998 und 2005 aber, als die Profitquellen der Kapitalisten weniger wurden, schenkte die Regierung ihnen die Energieversorgung: Das Netzwerk wurde zerschlagen und privatisiert. Um das uns gegenüber zu rechtfertigen, behaupteten die Herrschenden, dies wäre effizienter und die Konkurrenz würde für niedrigere Preise sorgen. Das Gegenteil war der Fall. Der Strompreis hat sich seit der Privatisierung mehr als verdoppelt.

Die neuen Profitquellen zogen zahlreiche Glücksritter an. Über tausend Kapitalisten gründeten kleinere Strom- und Gasanbieter, die selber nichts produzieren. Ihr ganzes Geschäftsprinzip bestand darin, die Energie möglichst günstig an der Börse zu kaufen und sie dann an die Verbraucher*innen weiterzuverkaufen.
Solange Strom und Gas günstig zu kaufen waren, machten sie satte Gewinne. Heute aber, wo die Energiepreise an der Börse extrem steigen, gehen diese Glücksritter genauso schnell Pleite und hinterlassen ein Trümmerfeld und ernsthafte Sorgen für Hunderttausende, wenn nicht Millionen Vebraucher*innen.
Einmal mehr erleben wir so heute, wie irrsinnig und schädlich ihre Profitlogik und „freie Konkurrenz“ sind. Alles ist bei der Energieversorgung eng miteinander vernetzt. Alle Menschen, ja die gesamte Gesellschaft, sind auf sie angewiesen. Auch auf Umwelt und Klima hat sie maßgebliche Auswirkungen. Es ist irrsinnig und gefährlich, dass in ihr einzelne Kapitalisten machen, was sie wollen. Die Energieversorgung gehört in die Hände der Gesellschaft und muss im Interesse der Bevölkerung und von ihr geplant werden.
Und das gilt nicht nur für Energie. All die Betriebe, die derzeit weltweit stillstehen, weil Teile und Rohstoffe fehlen und Lieferketten unterbrochen sind, zeigen eindrucksvoll, wie sehr die gesamte Produktion vernetzt ist, wie notwendig eine weltweite Planung wäre – und was für ein Chaos die Anarchie der Konkurrenz und Profitlogik anrichtet.
 
Der Kapitalismus aber ist so verfault, dass er noch das Wenige zerstört, was er selbst mal an Planung und Organisation geschaffen hat. Und auch den Großteil ihrer Profite stecken die Kapitalisten nicht einmal mehr in die Produktion. Stattdessen spekulieren sie damit im großen Casino der Börse, wo sie heute unter anderem… auf steigende Energiepreise wetten!
Ihre Spekulation ist ein entscheidender Grund, warum heute die Preise für Gas, Öl, Strom, Kohle und andere Rohstoffe explodieren. Und die gigantischen staatlichen „Rettungspakete“, durch die die Kapitalisten in der Pandemie noch reicher geworden sind, haben die Spekulation und damit die Preissteigerungen noch weiter befeuert.

In vielen ärmeren Ländern führen die extrem gestiegenen Preise zu Hunger und Elend. In Kasachstan hat dies Massenrevolten und Streiks hervorgerufen. Doch auch in den großen Industrieländern steigt immer mehr Arbeitenden, Rentner*innen und Erwerbslosen das Wasser bis zum Hals.
Die deutsche Regierung plant als kleine Beruhigungspille einen einmaligen Zuschuss von 135 Euro zum Wohngeld. Doch diese Summe bräuchten wir nicht einmalig, sondern jeden Monat. Und selbst das wäre noch zu wenig, um die Preissteigerungen auszugleichen.
Denn nicht nur die Energie wird teurer. Alle Unternehmen geben ihre gestiegenen Rohstoff- und Energiepreise an uns Verbraucher*innen weiter. Wir sind am Ende der Kette und zahlen ALLE gestiegenen Preise.

Unsere Löhne müssen mit den Preisen mitsteigen! Nur so können auch wir die steigenden Preise weitergeben – und zwar an die Kapitalisten, die sie mit ihrer Profitgier verursachen und daher auch bezahlen sollten.

Ab Ende der 1960er Jahre hat es schon mal eine ähnliche Situation gegeben. Auch damals hat die massive Steigerung des Ölpreises zehn Jahre lang alle Preise nach oben getrieben. Doch die Tariflöhne stiegen anfangs kaum. Wütend legten daraufhin 1969 die Arbeiter*innen bei Hoesch in Dortmund spontan die Arbeit nieder – ohne Aufruf der Gewerkschaften und ohne Tarifverhandlungen, obwohl solche „wilden“ Streiks gesetzlich nicht erlaubt sind.
In einer Kettenreaktion folgten in den nächsten Wochen 140.000 Arbeitende aus der Metall- und Stahlindustrie, der Chemie- und Textilindustrie sowie des Öffentlichen Dienstes ihrem Beispiel.

Völlig überrumpelt von dieser spontanen Empörung und Streikwelle erfüllten die Kapitalisten fast alle Forderungen – teilweise Lohnerhöhungen von 10%. Eine weitere Welle von wilden Streiks folgte 1973. Nicht zuletzt aus Sorge vor erneuten Wutausbrüchen und Streiks der Arbeitenden rückten die Kapitalisten auch in den folgenden Jahren ähnlich hohe Tariferhöhungen heraus, die einen bedeutenden Teil der steigenden Preise ausglichen. Dieser Weg ist auch heute unsere einzige Chance.

Das Rote Tuch
Archiv