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Nr. 59, Dezember 2013 - Internationales

Ukraine: Die von der EU gelobte Opposition ist nicht besser als die Regierung

Seit drei Wochen halten in der Ukraine die Proteste gegen die Entscheidung des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch an, das Freihandels-Abkommen mit der EU doch nicht zu unterzeichnen.
Fünf Jahre lang hat die EU mit mehreren Staaten der ehemaligen Sowjetunion über dieses Abkommen verhandelt. Mit ihm sollten Zölle und andere Gesetze wegfallen, die Handel, Import und Export einschränken. Das hätte vor allem den europäischen Einzelhandelsketten, Banken, Lebensmittelkonzernen, Automobilkonzernen usw. genutzt, die im Osten einen neuen, großen Absatzmarkt bekommen hätten.

Lange Zeit hatte auch der ukrainische Präsident Janukowitsch diesem „Part-nerschaftsabkommen“ zugestimmt in der Hoffnung, dass die EU im Gegenzug auch der Ukraine irgendeine Verbesserung zugestehen würde. Doch kurz vor Abschluss der Vertrags wurde deutlich, dass die EU Nichts geben und versprechen wollte, keine wirtschaftliche Gegenleistung, ja nicht einmal vage Aussichten auf eine mittelfristige Aufnahme in die EU oder gar die Bewegungsfreiheit der ukrainischen Bürger in der EU.

Die Regierungen der EU wollen einzig die Bewegungsfreiheit des europäischen Kapitals ermöglichen. Sie wollen vor allem deutschen und französischen Konzernen ermöglichen, den ukrainischen Markt ohne Hindernisse mit ihren Produkten zu überschwemmen – ohne jede Gegenleistung für die Ukraine und ihre Bevölkerung.

Im Gegenteil, in der Ukraine könnte dies ganze Wirtschaftszweige in Industrie und Landwirtschaft bedeutend schädigen, die mit den billigen Importen aus Europa dann nicht mehr mithalten könnten; es würde wahrscheinlich Fabrikschließungen und Massenentlassungen nach sich ziehen. Dabei ist die Wirtschaft ohnehin bereits gebeutelt durch die herrschenden Mafia-Cliquen, die die Wirtschaftszweige seit dem Ende der Sowjetunion ausplündern.

Hinzu kommt, dass der Anschluss an die EU einen Bruch mit Russland zur Folge hätte, mit dem die ukrainische Wirtschaft sehr eng verflochten ist. Denn die Industrie der Ukraine wurde als Teil einer gemeinsamen, arbeitsteiligen Wirtschaft der gesamten Sowjetunion aufgebaut. Alle Länder der ehemaligen Sowjetunion sind daher bis heute sehr stark miteinander verwoben und voneinander abhängig, und vor allem abhängig vom größten dieser Länder, von Russland.

Offensichtlich hat der ukrainische Präsident Janukowitsch und die herrschende Staatsclique letztlich die Einschätzung getroffen, dass es sich nicht lohnt, einen solchen Bruch mit Russland zu riskieren – zumindest nicht für ein Abkommen mit der EU, bei dem man ihnen nicht mehr bietet als leere Worte von einer besseren Zukunft.

Nach dieser Entscheidung ist den EU-Politikern in Brüssel plötzlich wieder aufgefallen, das Janukowitsch ein diktatorischer Mafioso ist, was sie in den Monaten vorher, wo die Verhandlungen gut liefen, „übersehen“ hatten. Und nun loben sie die Oppositionspolitiker hoch, die sich an die Spitze der Proteste gegen Janukowitsch gestellt haben.
Diese Proteste gingen von Teilen der städtischen Mittelschichten im Westen der Ukraine aus, die große Illusionen darin haben, dass ein Abkommen mit der EU etwas mehr Wohlstand und Sicherheit bringen könnte und die enttäuscht waren, dass Janukowitsch es nicht unterzeichnet hat.
Doch die drei Oppositionsparteien, die sich an die Spitze der Proteste gestellt haben und die man uns hier als „Pro-Europäer“, „Demokraten“ und „die Stimme des Volkes“ präsentiert, sind genauso wenig appetitlich wie Janukowitsch und seine Clique.

Sie sind oft ebenso berüchtigt für ihre Beziehungen zur Mafia und in erster Linie daran interessiert, an die Macht zu kommen. Und ob die Partei von Julia Timoschenko, die von Vitali Klitschko oder die dritte, Svoboda, alle sind außerdem wirklich nationalistische Parteien, die die Protestierenden alle Stunde die Nationalhymne singen lassen. Svoboda, die sich bis 2004 noch „Nationalsozialistische Partei der Ukraine“ nannte, ist offen rechtsextrem und bei den jetzigen Demonstrationen haben ihre Aktivisten schon Gewerkschafter angegriffen und verletzt.

Doch Merkel und die anderen politischen Führer der EU stört es nicht, solchen Kräften einen Heiligenschein zu verpassen, um ihren Interessen Nachdruck zu verleihen. Genauso könnten sie sich übrigens morgen wieder auf Janukowitsch stützen, falls sich der Wind erneut dreht.
Einer allerdings spielt bei ihren strategischen Machenschaften für die Interessen der europäischen Konzerne keine Rolle: die ukrainische Bevölkerung.

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