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Nr. 125, Dezember 2019 - Leitartikel

Den Kapitalisten das Recht nehmen, zu entlassen und Betriebe zu schließen!

Am 5. Dezember haben die 900 Stahlarbeiter von ThyssenKrupp in Duisburg-Hüttenheim erfahren, dass ihr Werk geschlossen werden soll. Eine Woche später hat ThyssenKrupp die Schließung von zwei Werken mit 1.000 Stahlarbeitern in Bochum angekündigt. Und bei einem Werk in Gelsenkirchen „überlege man noch“.
Dabei will der Konzern künftig sogar mehr Stahl produzieren als bisher, aber eben… mit weniger Arbeitern. Auch in den anderen Konzernbereichen sollen 4.000 Arbeitsplätze vernichtet werden.

Es klingt wie Hohn in den Ohren der Betroffenen, wenn der Vorstand erklärt, alles würde ganz „sozial verträglich“ ablaufen. Gerade in Bochum weiß nach Opel und Nokia jeder, was für ein Aderlass eine Werksschließung ist.
Jedes Werk, das schließt, ist ein Drama für die betroffenen Arbeiter, die Zulieferer, die ganze Region. Im Ruhrgebiet leben jetzt schon 21% der Leute unter der Armutsgrenze. Und in derselben Woche wie ThyssenKrupp kündigte auch noch Aldi Süd an, ein Lager mit 300 Arbeitern in Mülheim zu schließen – und E.ON, dass sie 1.600 Beschäftigte allein in Essen und Dortmund entlassen.

Nachdem sie morgens von der drohenden Schließung ihres Werks erfahren hatten, haben in Hüttenheim 300 Arbeiter zum Schichtwechsel spontan die Arbeit niedergelegt. Zwei Tage zuvor waren 6.000 Arbeiter dem Aufruf der IG Metall gefolgt und haben in Duisburg gegen die Sparpläne in allen Stahlwerken demonstriert. Und am Tag darauf haben in Essen 2.500 Arbeiter der Aufzug-Sparte protestiert, die ThyssenKrupp verkaufen will, womit sie die Jobs weiterer tausender Arbeiter bedrohen.

Jahrelang hatte man den Arbeitern erzählt, die Aufzug-Sparte wäre der rentabelste Bereich und daher müssten sie sich um ihre Jobs keine Sorgen machen. Von wegen! In ihrer kapitalistischen Wirtschaft hat niemand einen sicheren Job. Jetzt will ThyssenKrupp die Sparte gerade deshalb teuer verkaufen… weil sie so rentabel ist.

ThyssenKrupp ist kein Sonderfall. Mit der unsicheren Weltwirtschaftslage werden die Kapitalisten in allen Branchen aggressiver, um weiter ihre Profite zu erhöhen: Die Deutsche Bank, die Commerzbank und die Hypovereinsbank wollen zusammen 24.500 Arbeitsplätze vernichten, Bayer und BASF zusammen 16.000 Arbeitsplätze, VW, Daimler und BMW insgesamt sogar 60.000 Arbeitsplätze. Ganz zu schweigen von der Automobilzulieferer-Industrie: Allein in Baden-Württemberg haben 160 Automobilzulieferer Entlassungen, Werksschließungen oder Lohnkürzungen angekündigt. Und all die entlassenen Arbeiter von Leih- und Subfirmen sind in diesen Zahlen nicht mal mit drin.

Quer durch die Branchen und das Land stoßen die Kapitalisten gerade Hunderttausende Arbeiter in Arbeitslosigkeit und Unsicherheit und rauben ihnen Lohn. Es sind dieselben Kapitalisten, die uns zehn Jahre lang vom „Wirtschaftswun-der“ vorgeschwärmt haben und deren Vermögen auf unserem Rücken in schwindelerregende Höhen geklettert sind!
Nicht nur für einzelne Belegschaften, sondern für die gesamte arbeitende Klasse stellt sich daher die Frage, wie wir auf diese beginnende Angriffswelle reagieren können und müssen.

Ende November sind in Stuttgart 15.000 Arbeiter gegen die Angriffe in der Autobranche auf die Straße gegangen. Doch welche Perspektive hat die IG Metall-Führung bei dieser Demonstration vertreten? Sie hat an die „Vernunft“ der Kapitalisten appelliert, hat erklärt, dass Unternehmer und Beschäftigte nur gemeinsam „gute Lösungen für die derzeitigen Herausforderungen“ finden könnten. Ähnlich bei ThyssenKrupp.

Auf die Vernunft der Kapitalisten zu hoffen aber ist so, als wollte man einem tollwütigen Hund erklären, dass es „vernünftiger“ wäre, das Stück Fleisch mit uns zu teilen. Während wir noch vertrauensselig auf den Hund einreden, verschlingt der nicht nur das Fleisch, sondern uns gleich mit.

In ihrer Profitlogik gibt es für uns keine gute Lösung. Nach der Profitlogik ist es vernünftig, Arbeitende zu entlassen – und dafür die übrigen noch mehr schuften zu lassen. Danach ist es vernünftig, auf dem Scherbenhaufen unserer Jobs, ganzer Werke und Gegenden noch größere Geldberge anzuhäufen.

Für uns Arbeiter hingegen ist das Gegenteil vernünftig und notwendig: nämlich, dass der von uns erarbeitete Reichtum zuallererst zum Erhalt unser aller Arbeitsplätze und Löhne dient. Und sollte tatsächlich etwas weniger Arbeit da sein – aus welchem Grund auch immer – dann müsste man die vorhandene Arbeit unter allen aufteilen statt zu entlassen – sodass alle endlich wieder ruhiger und ohne chaotische Schichten arbeiten können. In den meisten Betrieben jedoch sind wir eher zu wenig Arbeiter, und man müsste mehr einstellen!

Welche Vernunft sich durchsetzt, ist eine Frage des Kräfteverhältnisses. Heute sind die Kapitalisten die Stärkeren. Doch sie wissen: Wenn wir Arbeitenden zusammenhalten und wissen, was wir wollen, können wir die Stärkeren sein. Deshalb versuchen sie uns einzureden, wir müssten alles akzeptieren. Und sie versuchen uns zu vereinzeln, versuchen uns das Gefühl zu geben, die Entlassungen bei ThyssenKrupp wären was ganz anderes als die bei Aldi oder E.ON – obwohl alle im Umkreis von 30 Kilometern stattfinden.
 
Wir Arbeitenden hingegen werden dann wieder an Stärke gewinnen, wenn in unseren Reihen wieder das Bewusstsein wächst, dass wir eine Klasse, mit gemeinsamen Anliegen und Interessen sind – und wir gemeinsam den Kampf gegen die kapitalistische Klasse aufnehmen können und müssen.

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