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Minneapolis hat die Dynamitstange gezündet

Wir veröffentlichen im Folgenden den Leitartikel der US-amerikanischen trotzkistischen Organisation The Spark vom 02. Juni 2020.

„Das System ist kaputt“: Das waren die Worte eines jungen schwarzen Mannes in Minneapolis, während er zusah, wie die Flammen eine Polizeiwache zerstörten, die von Demonstranten angezündet worden war.

Kaputt? Ja, das ist es! Wie sonst könnte man ein System bezeichnen, dessen Polizei 9 Minuten lang ganz beiläufig auf dem Nacken eines schwarzen Mannes kniete und einfach zusah, bis er zu atmen aufhörte – und dann ebenso beiläufig berichtete, der Mann sei an einem „medizinischen Vorfall“ gestorben? Wenn es nicht das Video eines Passenten gegeben hätte, dann wäre dies nur ein weiterer verlogener Polizeibericht gewesen, der in einer staubigen Schublade zu den Akten gelegt worden wäre.

George Floyd hat für dieses kaputte System mit seinem Leben bezahlt. Er ist nicht der erste Schwarze, der in Minneapolis-St. Paul diesen Preis bezahlt. Nicht lange vor ihm ist es Thurman Blevins so ergangen, und davor Philando Castile und Jamar Clark.
Und Minneapolis ist nicht die einzige Stadt, in der ein Mord durch einen Polizisten per Video aufgedeckt wurde – ein Mord, der sonst mit der Leiche des Opfers begraben worden wäre. Darum kennen wir die Namen von Breonna Taylor in Louisville und Brandon Webber, Antonio Smith und Darrius Stewart in Memphis und Eric Garner in Staten Island, und viele andere mehr. Darum kennen wir den Namen von Ahmaud Arbery aus Glynn County in Georgia, der von einem ehemaligen Ermittler des Sheriffsbüros und einen örtlichen Staatsanwalt ermordet wurde.

Nein, es ist nicht nur ein einmaliger Gewaltakt, und nicht nur eine Stadt. Es ist das System, und das ist kaputt.

Mit der Sklaverei geboren, ist dieses kapitalistische System, das auf der Ausbeutung von Arbeitskräften basiert, noch immer von seinen Anfängen geprägt. Fast vom gleichen Moment an, in dem 1863 die Ketten der Sklaverei zerrissen wurden, wurde die ehemals versklavte schwarze Bevölkerung dazu verurteilt, die untersten Ränge der „freien Arbeit“ zu besetzen: Sie wurden Zwangsarbeiter in den Gefängnissen und auf den Feldern des Südens. Sie wurden Landpächter, denen ausbeuterische Verträge aufgezwungen wurden. Und später wurden sie durch das Kapital des Nordens in die Reservearmee von Arbeitslosen gedrängt.

Im Allgemeinen nehmen schwarze Arbeiter immer noch diesen Platz ein. In Krisenzeiten sind sie die Hauptopfer von Entlassungen, sind in riesigem Ausmaß von Arbeitslosigkeit betroffen. Und zwischen zwei Krisen, in den immer kürzeren Wachstumsperioden, füllen sie vorübergehend die Lücken des Arbeitsmarkts. Diese Rolle wurde der schwarzen Bevölkerung von einem kapitalistischen System zugewiesen, das noch immer die Spuren seiner Geburt aus der Sklaverei in sich trägt. Dies ist der Grund, warum die Armutsquoten unter Schwarzen so viel höher sind; warum sie unter schlechterer medizinischer Versorgung und einem schlechteren Schulsystem leiden; warum mehr von ihnen im Gefängnis sitzen.

Diese Unterdrückung erklärt die Gewalt, die die Machthaber systematisch gegen die schwarze Bevölkerung ausgeübt haben. Offiziell genehmigte Gewalt ist, die der Kapitalismus gebraucht hat, um die Unterdrückten vom Aufruhr abzuhalten - alle Unterdrückten, schwarze und weiße.

Ja, es gibt viele Weiße, arme Weiße, die von Polizisten getötet werden. Weiße Arbeiter werden ebenfalls ausgebeutet. Aber weiße Arbeiter – einschließlich aller Einwanderergruppen, die im Laufe der Zeit in die Arbeiterklasse eingegliedert wurden – haben das kleine Privileg ihrer Hautfarbe erhalten, was für sie einen nicht ganz so niedrigen Lohn bedeutet, etwas weniger Armut, einen etwas besseren Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung usw. Aber etwas besser heißt nicht gut. Weiße Arbeiter mögen ihre Hautfarbe mit der Kapitalistenklasse teilen, die an der Spitze dieser Gesellschaft steht, aber sie teilen mit ihr nicht den Reichtum.

Jeder Teil der Arbeiterklasse hat Grund, sich gegen dieses kapitalistische System aufzulehnen, das großen Reichtum für die Wenigen an der Spitze schafft und wachsende Armut unter denjenigen, die die für die Gesellschaft notwendige Arbeit verrichten. Heute setzt uns dieses System unzähligen Todesfällen aus, die direkt damit zusammenhängen, wie es mit dem Virus umgegangen ist. Es zieht uns hinunter durch das Kaninchenloch* seiner zusammenbrechenden Wirtschaft. Und es braucht Gewalt, um sich selbst aufrechtzuerhalten.

Was jetzt? Eine ältere schwarze Frau in Minneapolis, die sich das ausgebrannte Polizeirevier ansah, sagte: „Es ist wie Schießpulver, das sich über einen langen Zeitraum Schicht für Schicht ablagert, und wenn du erwachsen wirst, ist es eine Dynamitstange.“

In der vergangenen Woche begann das Dynamit in Minneapolis zu explodieren. Und wie so oft waren es junge Schwarze, die vorangingen.

Es wird weitere Explosionen geben. Aber wenn sie die Veränderung bewirken sollen, die die Bevölkerung braucht, so muss es über die Explosion hinaus ein klares Ziel für den Kampf geben. Wir müssen dafür kämpfen, das kaputte System loszuwerden – dieses kapitalistische System, das Unterdrückung, Ausbeutung und Gewalt geschaffen hat, die auf der gesamten Arbeiterklasse und der schwarzen Bevölkerung im Besonderen lasten. Unter den Unterdrückten, die sich wehren wollen, braucht es Menschen, die sich für dieses Ziel einsetzen.


*Gemeint ist das Kaninchenloch von Alice im Wunderland, das in eine verrückte, verquere Welt führt (eine feststehende Redewendung im Englischen).